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Kalkulierte Notsituation
Es dürfte das aufsehenerregendste Treffen der EU-Innenminister gewesen sein, das dieser Tage in Luxemburg stattgefunden hat. »Es ist besser allein zu sein als in schlechter Gesellschaft« – derartige wutschnaubende Äußerungen italienischer Politiker waren Höhepunkt in der Auseinandersetzung über den Umgang mit den Flüchtlingen und Migranten, die derzeit über das Mittelmeer nach Italien kommen. Italiens Innenminister Roberto Maroni kommentierte damit die Weigerung der übrigen EU-Innenminister, Italien bei der Bewältigung der Aufnahme von Flüchtlingen zu helfen und ein gemeinsames Unterstützungsprogramm aufzulegen. Der kleinste gemeinsame Nenner besteht einzig in der Verstärkung gemeinsamer Abwehrmaßnahmen. Mit Tunesien soll schleunigst ein Rücknahmeabkommen verhandelt werden. Ziel ist, dass Tunesien noch mehr als die bereits gegenüber Italien zugesicherten 60 Tunesier pro Tag (!) zurücknimmt.
Zweite Maßnahme, auf die sich die EU-Innenminister einigen konnten: Ebenfalls mit Tunesien soll über einen von der EU-Grenzschutzagentur FRONTEX koordinierten Einsatz direkt vor der Küste des nordafrikanischen Mittelmeeranrainers verhandelt werden. Italien hat bereits angekündigt, sich mit fünf Schiffen daran zu beteiligen, aber auch die übrigen Mitgliedsstaaten sollten sich engagieren. Seit Anfang März läuft bereits eine »Hermes« genannte FRONTEX-Operation. In ihrem Rahmen haben die EU-Mitglieder – auch die Bundesrepublik – Experten zur Verfügung gestellt, die in den italienischen Aufnahmelagern die Identifizierung der Migranten übernehmen und ihre Fluchtrouten klären sollen. Außerdem geht es um die Überwachung des Meeres zwischen Libyen, Tunesien und Lampedusa, um Flüchtlingsboote zu orten. Bislang werden sie geborgen und nach Lampedusa geschleppt. Dort waren zu Spitzenzeiten 6000 Bootsflüchtlinge gleichzeitig unter schlimmsten Bedingungen untergebracht.
Man muss deswegen kein Mitleid mit Italien bekommen. Die Notsituation auf Lampedusa war Kalkül. Die Regierung Berlusconi wollte die Bilder einer überfüllten Aufnahmeeinrichtung, um einerseits innenpolitisch als Aufräumer punkten zu können und andererseits die übrigen EU-Mitglieder zu Unterstützungsleistungen zu pressen. Das hat nicht funktioniert. Und Berlusconis Widersacher in dieser Angelegenheit haben nicht Unrecht: Sicherlich wäre es kein Problem für Italien, 26 000 Tunesier und auch die wenigen bisher angekommenen Flüchtlinge aus Libyen aufzunehmen und human unterzubringen. Die Unterbringung von Schutzsuchenden und anerkannten Flüchtlingen ist in Italien seit Jahren eine Katastrophe. Das hat die Bundesrepublik und andere Staaten bislang nicht gehindert, über Italien in die EU eingereiste Flüchtlinge dorthin zurückzuschicken – obwohl ihnen dort nicht nur Obdachlosigkeit und Elend drohten, sondern auch der Zugang zu einem fairen Asylverfahren faktisch verweigert wurde.
Das zeigt zweierlei: Das unsinnige Dublin-Verfahren, nach dem Asylsuchende in Europa hin- und hergeschoben werden, muss endlich beendet werden. Es bedarf eines Mechanismus, um die Einhaltung der Asylstandards in den Mitgliedsstaaten wirksam durchzusetzen. Doch in diese Richtung wird sich in der EU in der nächsten Zeit wohl nichts bewegen – eher wird es »mehr vom Gleichen« in Sachen Flüchtlingsabwehr geben. So ging die Neufassung der Verordnung zur Einrichtung der Abschottungsagentur FRONTEX, verbunden mit einer deutlichen Ausweitung von Ressourcen und Kompetenzen, beim Innenministerrat sang und klaglos über die Bühne.
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