ANDREA BRETH: Ständiges Stürzen

Marginalien zum KLEIST-JAHR 2011

  • Lesedauer: 2 Min.

Es gibt in den Stücken von Kleist viele Momente, in denen ein Mensch nicht weiß, was passiert ist oder passiert. Kleist ist ein Dichter, der von Freud noch gar nichts wissen konnte, aber sehr viel darüber geschrieben hat, was das Unbewusste, das Es, mit und macht. Bis dahin, dass Es spricht und man nicht unter Kontrolle hat, was es sagt. Das kommt immer wieder vor. Im »Käthchen von Heilbronn« meldet sich das Unbewusste beim Grafen Wetter vom Strahl, wenn man dies so bezeichnen darf, in der Form des Somnambulismus. Er sucht Vergewisserung in einer Welt der Verbote und Grenzüberschreitungen.

Im »Zerbrochnen Krug« ist die Ungeheuerlichkeit, dass ein alter Mann wie Adam ständig in Liebesverhältnisse stürzt. Er stürzt aus Eves Zimmer, und ein Krug geht in Brüche. Adam stürzt in sein eigenes Zimmer. Wir stürzen und wissen nicht warum – weil irgendetwas in uns etwas will, das wir mit der Ratio nicht im Griff haben. Die Anwesenheit des Irrationalen ist ein ungeheures Thema bei Kleist und auch ein Novum. – Nein, nicht ganz. Auch der große Aufklärer Lessing thematisiert in der Figur der Emilia Galotti genau diese Frage: Wir sollen nicht meinen, dass mit Vernunft alles zu lösen sei. Auch nicht mit dem Willen. Es gibt etwas, das stärker ist als unser Wille, etwa die Hörigkeit.

Nennen wir es eine tiefe Erschütterung. Liebe hat auch mit immensen Schmerzen zu tun. Sie ist nicht immer nur die Erlösung, sondern es fährt eine Kraft in den Menschen, die ihn verändert. Es ist ein Kampf. Die Liebe ist nicht unbedingt ein Geschenk, das man zu anderen Geschenken stellen kann. Im »Käthchen von Heilbronn« kann die Liebe erstmal nicht sein, weil es keine standesgemäße Liebe ist. Dann wird mit einem eigenartigen Traum alles so hingebogen, dass diese Liebe doch standesgemäß ist. Ein sogenanntes Ende gut, alles gut. Aber augenzwinkernd gemeint. Wen die Liebe trifft, dem passiert etwas. Dabei kann man alles verlieren, alles gewinnen.

Aus: Klaus Dermutz: Andrea Breth – Der Augenblick der Liebe, Residenz Verlag Salzburg, Wien 2004.

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