Neue Prothesen für Dauerpatienten

Berliner Verein hilft weiter krebskranken jungen Menschen aus Weißrussland

  • Maren Martell, dpa
  • Lesedauer: 3 Min.
Liana in der Orthopädie-Praxis
Liana in der Orthopädie-Praxis

Tapfer macht die zehnjährige Liana ihre Reha-Übungen im Berliner Paul-Gerhard-Stift. Wie schwer ihr das eigentlich fällt, lässt sie sich kaum anmerken. Im Gegenteil: Hochmotiviert arbeitet das hübsche weißrussische Mädchen aus Brest mit. Sie weiß genau, nur so hat sie vielleicht Chancen, mit 15 wieder ohne Hilfsmittel zu gehen. Im Alter von vier Jahren war sie mit ihrer Mutter erstmals in Deutschland. Nach einer Chemotherapie und schlechter OP-Versorgung leidet sie an einer schweren Wirbelsäulenskoliose und kann sich nur mit Hilfe eines Stützkorsetts, orthopädischer Schuhe und spezieller Orthesen bewegen.

Liana ist eines von fast 600 Kindern, die in den vergangenen 17 Jahren von dem Berliner Verein »Hilfe für krebskranke Tschernobyl-Kinder« medizinisch versorgt wurden. Am Anfang kamen die kleinen Patienten nach Wandlitz im Norden Berlins – da, wo einst die DDR-Führung residierte. Nach der Katastrophe von Tschernobyl gründeten Freiwillige bundesweit Dutzende derartiger Hilfsorganisationen.

Einige Jahre nach dem verheerenden Reaktorunglück hatte die Berliner Bankiersfrau Anneliese Bödecker von weißrussischen Kindern erfahren, die im Norden Berlins in der Brandenburg Klinik behandelt wurden. Vor Ort sah sie dann, wie viel Hilfe diese noch nötig hatten und beschloss, dafür Spenden zu sammeln.

»Sehr schnell bekam ihr Verein die Ausmaße eines kleinen Unternehmens«, berichtet heute Schwiegertochter Elvira Tasbach. Zeitweise waren bis zu 20 Personen in Wandlitz, die sich um die Kinder kümmerten, darunter Ärzte, Physiotherapeuten und Dolmetscher. Die jungen Patienten, die mit Bussen in Begleitung ihrer Mütter oder Väter direkt aus Weißrussland herangefahren wurden, hatten meistens Schilddrüsenkrebs, Leukämie, Hirn- oder Knochentumore. In ihrer Heimat konnten sie oft nicht angemessen behandelt werden.

4,7 Millionen Euro Spenden hat der Verein seit 1994 sammeln können. Der Initiatorin Bödecker war es dabei immer wichtig, dass so gut wie kein Geld in irgendwelchen Verwaltungsstrukturen »hängen bleibt«. Mit den Mitteln wurden bislang 129 Patienten mit Prothesen versorgt. 104 Kinder ließen sich operieren. Außerdem wurden zahlreiche radiologische Therapien und diagnostische Maßnahmen wie Computertomographien oder MRTs möglich. Ein Großteil der Patienten kam auch mehrfach zur medizinischen Versorgung nach Deutschland.

Heute sind viele der damaligen Kinder junge selbstbewusste Erwachsene. Der älteste Patient ist jetzt 28. »Hilfe brauchen sie meist immer noch, vor allem bei der Nachversorgung mit Prothesen«, betont Gabriele Gaßner vom Vereinsvorstand. Seit 2007 liegt der Schwerpunkt der Arbeit aber nicht mehr bei Reha-Maßnahmen und Diagnostik. Mittlerweile geht es mehr um komplizierte Operationen oder den Prothesenaustausch. Auch sind die Patienten nicht mehr in Wandlitz.

»Im Berliner Wedding haben wir eine Wohnung angemietet, wo sie mit ihren Angehörigen erstmal ankommen können«, berichtet Gaßner. Behandelt werden die Betroffenen dann in verschiedenen Berliner Krankenhäusern wie der Charité oder den Helios-Kliniken.

In Weißrussland ist das Minsker Kinderkrankenhaus wichtige Anlaufstelle. Nach Einschätzung der Kinderärztin Kerstin Lieber hat sich aber gerade die Reha-Situation vor Ort mittlerweile entscheidend verbessert. Dazu habe die Arbeit des Berliner Vereins beigetragen. »Uns ging es immer um Hilfe zur Selbsthilfe«, betont Lieber, die von Anfang an dabei war. So wurden mit den Berliner Hilfsgeldern auch viele weißrussische Ärzte, Therapeuten und Krankenschwestern fortgebildet.

Die Reaktor-Katastrophe im japanischen Fukushima ist für Lieber »ganz bitter«. Es zeige sich, »dass wir nichts gelernt haben. Alles wiederholt sich, nur das Ausmaß ist viel größer. Und wieder sind es Kinder, die es besonders trifft«, betont die 51-jährige Medizinerin. Aber auch in Weißrussland erlebe sie viel Angst, wenn man auf das Thema Tschernobyl zu sprechen kommt. Angesichts der vielen krebskranken Kinder, die Lieber in den vergangenen Jahren behandelte, ist es für sie kaum nachvollziehbar, dass gerade in der Region Minsk der Bau eines ersten weißrussischen Kernkraftwerks im Gespräch ist.

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