Ferien machen in Attrappen
Mecklenburg-Vorpommerns Architektenkammer beklagt Wildwuchs bei Urlaubersiedlungen
Lauterbach/Schwerin. Der Ort verheißt Stille: An der Zimmerdecke spiegelt sich das Wasser. Ein leises Plätschern der Wellen säuselt den Urlauber auf der Terrasse seines schwimmenden Ferienhauses in den Halbschlaf.
In Lauterbach, an der Südküste Rügens, macht der Feriengast nicht Urlaub am Wasser, sondern mittendrin – in kubischen, holzbeplankten Ferienhäusern, die auf Betonpontons schwimmen, oder in grünbedachten Pfahlhäusern, die aus dem Wasser ragen. Der hauseigene Swimmingpool ist das Meer, in das direkt vor dem Frühstückstisch eine Leiter führt.
Der 37-jährige Till Jaich, der zusammen mit seinem Vater Ingo die Idee vom Urlaub auf dem Wasser verwirklicht hat, setzt neben der ungewöhnlichen Architektur auf ökologische Baustoffe, gehobene Ausstattung und eine CO2-neutrale Energieerzeugung durch Sonne und ein Blockheizkraftwerk, das aus einer Biogasanlage gespeist wird. Gerade hat er vier Millionen Euro investiert und die Anlage erweitert. Die Urlauber honorieren das Konzept: Die durchschnittliche Auslastung in der Anlage »Im Jaich« liegt bei 70 Prozent.
Billige Attrappen
Ferienhausanlagen wie diese oder andere moderne Lösungen wie am Hafen von Malchow (Müritzkreis) sind Leuchtturmprojekte, die auch bei Fachleuten Anerkennung finden. Doch es geht auch anders: Gesichtslose Anlagen in der dritten Reihe an viel befahrenen Durchgangsstraßen in den Urlaubergebieten. Die Architektenkammer Mecklenburg-Vorpommern beklagt einen zunehmenden Wildwuchs bei Ferienwohnungsanlagen und vermisst bei Investoren ein Bewusstsein für Baukultur.
»Man sieht diesen Häusern oftmals an, dass sie billig gebaut wurden, mit Attrappen an den Fassaden, die auch als solche erkennbar sind«, sagt Lutz Braun, Vizepräsident der Architektenkammer. Hinzu kommt ein weiteres Problem: »Es gibt Orte, in denen die Verdichtung inzwischen einfach zu groß ist.« Braun denkt dabei vor allem an die großen Küstenbäder auf Rügen und Usedom. Der Stadtplaner und Architekt ist sich sicher: »Mit wenigen treffenden Festsetzungen in Satzungen hätten solche Deformationen vermieden werden können.« Diese Fehler der letzten zwanzig Jahre könnten nur schwer ausgemerzt werden.
Wie viele Anlagen in den vergangenen Jahren entstanden und wie viele noch geplant sind, kann auch der Tourismusverband nicht sagen. Es gibt eine große Grauzone, weil nur gewerbliche Ferienunterkünfte mit mehr als neun Betten gezählt werden, wie Verbandssprecher Tobias Woitendorf erläutert.
Der Verband schätzt, dass neben den offiziell gezählten 28 Millionen Übernachtungen pro Jahr in Mecklenburg-Vorpommern fast genauso viele noch einmal auf den kleingewerblichen Ferienwohnungs- und -häusersektor entfallen. Zu den 185 000 statistisch erfassten Gästebetten im Land kämen schätzungsweise rund 150 000 Privatbetten, die in keiner Statistik auftauchten. Problematisch sei das bisher nicht, sagt Woitendorf. »Wir müssen aber aufpassen, dass das Verhältnis zwischen Hotels, Pensionen und Ferienhaus- und -wohnungsanlagen nicht kippt.«
Es ist eine Frage der Qualität: Nach Ansicht des Architekten und Stadtplaners Braun fehlt es Investoren oftmals an Mut, auch beim Bau von Ferienwohnungen Neues zu wagen. »Da wird das Klischeehafte gesucht, das eine gute Rendite einfährt.« Die Kammer will Investoren ermuntern, kreativer zu sein, unter anderem mit einem Workshop.
Alte Gebäude nutzen
»Modernes, zeitgemäßes Bauen muss nicht teurer sein«, sagt Braun. Die Ursache für die Zurückhaltung sieht er vor allem darin, dass noch zu wenig wirklich gute Beispiele propagiert würden. »Regionalität und Zeitgemäßheit müssen sich nicht ausschließen.« Ein Bebauungsplan sei jedoch kein Garant für Qualität.
»Es gelingt ganz selten, mit Hilfe der juristischen Vorgaben eines Bebauungsplanes das Besondere zu schaffen«, berichtet Braun aus seinen Erfahrungen als Planer. Hilfreich sei das Gespräch vor Ort zwischen Bürgermeister und Investor, bevor die Planung für das Ferienobjekt steht. Was passt zum Ort, seiner Größe und seiner Geschichte? In ländlichen Regionen, wo durch den demografischen Wandel Immobilien verwaisen, plädiert die Kammer dafür, alte Gebäude umzunutzen.
Streit um Neubauten
Schwerin (dpa/ND). Angesichts des anhaltenden Baubooms bei Ferienwohnungen und -häusern planen die Architektenkammer und der Landkreis Rügen im kommenden Jahr eine große Konferenz. Dabei soll es nach Angaben der Kammer um die Fragen gehen, wie sich Urlauberanlagen in das traditionelle Ortsbild einpassen, ob eine Dauer- oder Saisonnutzung gestattet wird und welche Konsequenzen sich für die Einwohner des Ortes daraus ergeben. In Boltenhagen und auf der
Insel Poel hatte es Streit um die Nutzung von Neubauten als Ferienhäuser gegeben. Das Verwaltungsgericht Schwerin hatte zuvor die Ferienhausvermietung in reinen Wohngebieten verboten.
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