Der Schein der Gleichheit

Bürgertum und Fußball: Ehrgeiz und gepflegter Erziehungsstil

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 3 Min.

Vor einer Woche endete die diesjährige Fußballsaison. Na ja, eigentlich endete nur die Bundesliga, die Amateure und die deutsche Jugend kicken ja noch ihre Meister aus. Dort wo Fußball freiwilliges Ehrenamt ist, muss eben mehr gearbeitet werden. Meister wurde Borussia Dortmund, und das mit einem Trainer, den man in den 1970er-Jahren auf den Rängen mit dem zweitschlimmsten aller Schimpfwörter belegt hätte, das die deutsche Fußballsprache kennt: Intellektueller! (Nummer eins war: Mädchen)

Und heute? Heute ist sich der Trainer der 3.E-Jugend einer Berliner Kreisliga-Mannschaft (unter der Vokuhila-Matte geballter Fußballsachverstand) mit dem Vater seines Torjägers (kann nicht immer seinen Sohn vom Training abholen, da als leitender Chirurg eines Krankenhauses meist unabkömmlich) ausgesprochen darin einig, dass BVB-Trainer Jürgen Klopp (»Kloppo«) das Beste ist, was die deutsche Fußballtrainerschule seit Herberger hervorgebracht hat. Neben dem Fußballplatz geht offenbar noch zusammen, was sich abseits davon längst in seine Milieus verkrochen hat.

Scheinbar ist der Fußball die letzte Institution, in der der sozialdemokratische Traum von der Gleichheit im Kapitalismus noch einigermaßen funktioniert. Zumindest unter Männern, denn die haben von Kindheit an (sofern sie sich für Fußball begeisterten) hier eine gemeinsame Sprache gelernt und sich einen egalitären Habitus angeeignet. Fußball will zeigen, dass das richtige Leben im falschen doch möglich ist.

Im Leben außerhalb der Fußballplätze schottet sich das Bürgertum dagegen immer mehr in seiner Parallelgesellschaft ab. Mit Argusaugen wachen viele Eltern darüber, mit wem der Nachwuchs seine Freizeit verbringt. Die Freunde der Kinder werden nach dem Sozialstatus der Eltern ausgesucht; der Spielplatz wird schon im Babyalter der lieben Kleinen als Kontaktbörse für die spätere Karriere genutzt. Ihr sei es wichtig, dass ihre Kinder mit solchen Kinder spielten, deren Familien einen ähnlichen Erziehungsstil wie sie pflegten, zitiert die »FAZ« dieser Tage in einem Artikel mit der bezeichnenden Überschrift »Ehrgeizige Eltern« eine Mutter aus dem Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg. »Da harmonieren dann meist auch die Kinder.« Gleiches zum Gleichem, und nachmittags schnippelt Mutti für die lieben Kleinen gesundes Obst, bringt sie persönlich zum Klavierunterricht oder zu den Tennisstunden, denn schließlich will sie nicht, dass ihre Kinder anderswo die wertvolle Zeit sinnlos mit Fernsehen, Play-Station und Kartoffelchips-Futtern vergeuden.

Die Lektüre des »FAZ«-Artikels bietet interessante Einblicke in eine Welt, in der man Hartz-IV nicht einmal mehr aus dem Fernsehen kennt (die Krawall-Talkshows mit den gecasteten Sozialhilfeempfängern laufen schließlich im Nachmittagsprogramm). Nur in der Grundschule werden die eigenen Blagen noch zwangsweise mit denen des Pöbels konfrontiert. Der Seufzer, mit dem so manche dieser Eltern die Klage abschließen, dass in Berlin die Grundschule leider bis zur sechsten und nicht wie anderswo (gemeint sind damit meist die südlichen Landen Deutschlands) bereits nach der vierten Klasse endet, ist eine unüberhörbare Kampfansage der Gymnasialmafia an den Rest der Gesellschaft.

Merkwürdig ist, dass in dem »FAZ«-Text nur Mütter zu Wort kommen und als überdrehte, vom Ehrgeiz zerfressene Egozentriker beschrieben werden. Man möchte wissen, wie die Väter denken? Schwer vorstellbar, dass sie anderer Meinung als die Mütter ihrer Kinder sind. Männer diesen Standes setzen im Stillen die Normen, die sie von ihren Frauen repräsentieren lassen.

Die »FAZ« konnte sie wohl nicht befragen, denn die Väter waren wahrscheinlich im Büro – oder auf dem Fußballplatz.

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