Der Spaß und der Tod

Shakespeares »Romeo und Julia« am Berliner Ensemble

  • Christoph Funke
  • Lesedauer: 4 Min.
Anna Graenzer als Julia
Anna Graenzer als Julia

Raufen wollen sie alle, die jungen Leute in einem Verona, das historisch sehr fern sein müsste und doch für uns Heutige kenntlich ist in seiner latenten Gewaltbereitschaft – und im gefährlichen Spaß, den die Straßenkämpfe einer gelangweilten Jugend machen. Mona Kraushaar, die Shakespeares »Romeo und Julia« im Berliner Ensemble inszeniert hat, setzt auf die Nähe von Ernst und Übermut, zeigt Tollheit, Blutdurst und spöttisches Kräftemessen um jeden Preis. Sie holt Liebe aus einem Wust von unsinnigen Verstrickungen, und zeigt, wie einfach, fröhlich, ja kindlich unverbildet Liebe sein kann. Zwar ist es dunkel in diesem Verona, das einem Gefängnis mit mächtig bewehrten Wänden gleicht (Bühne Katrin Kersten), aber es gibt dort auch Lebenslust, Jux und Tollerei.

Es sind diese Umschläge vom musikumspielt Vergnüglichen, Unterhaltsamen in den Wahn der Vernichtung und Todessehnsucht, die das Besondere der Inszenierung ausmachen. In der gnadenlosen Auseinandersetzung der beiden verfeindeten Familien Montague und Capulet gibt es immer noch eine irrlichternde Heiterkeit, einen Schimmer Hoffnung, dass alles ganz anders sein oder werden könnte. Die Regisseurin mag den lastenden Ernst nicht, sie macht ihn durchlässig, verdrängt Pathos und herzzerreißende Trauer, bis fast zum Schluss.

Und bleibt dem Stück, in der geradlinigen, kraftvollen Übersetzung von Thomas Brasch, trotzig treu. Entdeckungen werden im Text gemacht, nicht gegen den Text. Über dem Geschehen liegt fiebrige Erwartung, die sich durch lustvolles Rennen, Flüchten, Verfolgen zu entladen sucht. Romeo ist ein Springteufel, den die Lust an Bewegung geradezu schüttelt und in ständige Unruhe versetzt. Dieser Bewegungsrausch wird zum Gradmesser für die anderen Jungen in der vom Familienzwist zerrissenen Stadt – hochschießende Wut, bedächtige Kraft, mühsame Zurückhaltung – immer ist da Gefahr, brennt ein unsichtbares Feuer. Aber selbst die Zweikämpfe mit tödlichem Ausgang haben, in ihren übermütigen Anfängen, einen clownesken Charakter. Schlimm, was geschieht, aber es bleibt so lange Spiel, fast unangestrengtes Spiel, wie nur irgend möglich.

Das gilt besonders für das Liebespaar, in das die Regisseurin geradezu vernarrt ist. Schon die erste, unangestrengte Begegnung der alles andere als gehemmten jungen Leute beim Maskenball nimmt sofort gefangen. Hände, Finger und Lippen finden sich, eine Liebe blüht auf, als die natürlichste Sache von der Welt. Im urkomischen Kontrast dazu steht dann das Misslingen des körperlichen Zueinanderfindens nach dem Fest. Aus dem Bühnenboden hat sich ein in die Höhe schwebendes Segment gelöst und eine Wasserfläche freigelegt. Oben wartet Julia, unten versucht Romeo, das große Podest zu erreichen. Christopher Nell, ein nicht verträumter, ein verwegener, ganz und gar unbedachter, draufgängerischer Romeo, versucht das mit Degen und Regenschirm, mit Luftballon und Feuerlöscher. Oben riskiert Anna Graenzer, eine kindlich abenteuerlustige, unerschrockene Julia, Kopf und Kragen, um dem Geliebten nahe zu kommen. Es gelingt nicht, aber Spaß macht’s allemal.

Solche fantasiegesättigte Burleske zu verlassen, gelingt der Regisseurin anstrengungslos. Die Hochzeitsnacht des Paares beginnt auf dem nun hell ausgeleuchteten, gläsern wirkenden Podest zwar mit akrobatischen Kabinettstückchen, endet aber in ruhigem, gefasstem Ernst. Und zuletzt, im Grabmal der Capulets, bricht sich dann doch unbezwingbare Trauer Bahn. Zwischen Tod und Leben umschlingen sich Nells Romeo und Graenzers Julia, bilden einen Körper, heben alles Trennende auf. Bezwingend offenbart sich, dass beide Reife gewonnen haben, kindliches Ungestüm liegt hinter ihnen. Zwei Menschenkinder, denen Glück schmerzhaft entzogen worden ist, nehmen ihr Schicksal tapfer, fast frohgemut an, bleiben im gemeinsamen Tod unlöslich miteinander verbunden. Diese schwebende Stimmungsvielfalt, von schnellen Lichtwechseln unterstützt, bestimmt auch die Zeichnung der anderen Figuren. Beispiele nur: Swetlana Schönfelds Amme, wuchtig, raumgreifend beweglich, allen Fährnissen gewissenlos gewachsen; Veit Schuberts Bruder Lorenzo, bedachtsam, schlau, ein bisschen hinterlistig und ohne auch nur einen Hauch von Frömmigkeit; Martin Seiferts Capulet, feigherzig, dümmlich, aufbrausend, oder Roman Kanoniks Benvolio, mit Ringerstatur und von gütiger Gelassenheit. Rätselhaft leere, zwiespältig repräsentative Würde ist dem Prinzen zugewiesen, gespielt von einem Kind, gesprochen von Angelika Winkler.

Was bleibt? Ein Shakespeare, der nicht heimatlos geworden ist. Eine Geschichte, die von gestern kommt und im Heute wurzelt. Bewusster Verzicht auf Besserwisserei, gekonnte Unterhaltsamkeit, manch betulich ausgepinselte Szenenmalerei in weit über dreistündiger Spieldauer allerdings auch.

Nächste Vorstellung: 3. Juni

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