Wer ist Bradley Manning?
Das Interesse an dem Schicksal des mutmaßlichen Wikileaks-Informanten ist in Deutschland bislang gering
Julian Assange kennt jeder. Bradley Manning kaum einer. Dabei ist letzterer der Mann, der ersterem die brisanten Geheimdokumente der US-Streitkräfte zur Veröffentlichung auf Wikileaks zugespielt haben soll, darunter das aufrüttelnde Video, das zeigt, wie US-Soldaten aus einem Hubschrauber heraus irakische Zivilisten gezielt erschießen. Seit einem Jahr sitzt Manning als angeblicher Landesverräter und Feindkollaborateur in den USA ohne Anklage im Gefängnis. Ihm drohen bis zu 52 Jahre Gefängnis oder gar die Todesstrafe. Anfang Juni sollte der 23-Jährige erstmals einem Richter vorgeführt werden. Das hat sich erneut nach hinten verschoben. Gemessen an dem enormen Echo auf die Wikileaks-Veröffentlichungen ist die Anteilnahme am Schicksal des jungen US-Soldaten bislang recht verhalten.
Kleine Initiativen überall in der Welt versuchen, den inhaftierten US-Soldaten aus seiner Anonymität herauszuholen. Einen Appell, der die menschenunwürdigen Haftbedingungen anprangerte – Manning saß fast zehn Monate in Isolationshaft –, unterstützten immerhin Zehntausende. Amnesty International wie auch prominente US-Juristen schalteten sich ein. Das zeigte Wirkung. Manning wurde Ende April in eine andere Haftanstalt verlegt und darf seither mit anderen Gefangenen sprechen und Besuch empfangen. Auf der Straße tut sich dagegen vergleichsweise wenig. Soligruppen organisieren in den USA regelmäßig Kundgebungen, die mit maximal 500 Teilnehmern allerdings überschaubar sind.
Nicht anders ist es in Deutschland. Am 26. Mai saß Manning ein Jahr in Untersuchungshaft. Zu der Kundgebung in Berlin anlässlich dieses Jahrestags forderten rund 100 Menschen zwischen Brandenburger Tor und US-Botschaft »Freiheit für Bradley Manning«. Es gibt lose Netze in Berlin und Frankfurt am Main, eine feste Gruppe oder ein breites Bündnis, das sich der Freilassung des US-Soldaten verschrieben hätten, hat sich bislang nicht zusammengefunden.
Auch wenn der Termin für die Demonstration ungünstig war – die Anti-Atom-Bewegung hatte den 28. Mai zum Großkampftag erkoren –, trifft der Befund: Immer ist etwas anderes wichtiger. Für die Friedensbewegung Afghanistan, für Parteien die Atomfrage und auch die Berliner »Piraten«, die die Kundgebung maßgeblich vorbereitet hatten, haben in den nächsten Wochen andere Pläne: Ab jetzt ist Wahlkampf. Immerhin verleihen die Friedensorganisationen IALANA und VDW demnächst den Whistleblowerpreis 2011 an die »anonyme Persönlichkeit«, die Wikileaks die Daten zum Video »Collateral Murder« übermittelt hat.
Diese Beschreibung offenbart ein Grundproblem: Es steht gar nicht fest, ob Manning überhaupt die Dokumente weitergeleitet hat. Denn bis heute gibt es keine persönliche Erklärung von ihm dazu. Die Verteidigungsstrategie seines Anwalts ist nicht bekannt. »Man weiß noch gar nicht, was Brad überhaupt will«, sagt »Pirat« Oliver Höfinghoff, der die Demonstration in Berlin mit organisiert hat. Eine Öffentlichkeit, die ihn für die Wikileaks-Enthüllung als Held feiert, könnte unter Umständen gar schaden. In jedem Fall gelte aber der Leitspruch: »Die Enthüllung eines Verbrechens ist kein Verbrechen.«
Insgesamt scheint es den bisherigen Unterstützern nicht recht klar zu sein, was man hierzulande Wirksames für Manning tun könnte. Höfinghoff glaubt jedenfalls nicht, dass sich die US-Administration von Erklärungen etwa des deutschen Menschenrechtsausschusses beeindrucken lässt. Und die Bundesregierung könne sich eh nicht aus dem Fenster hängen, denn hier sind Whistleblower genauso wenig geschützt, meint er. Sinnvoller fände er, das Europaparlament zu einer Intervention zugunsten von Manning zu bewegen.
Das amerikanische Unterstützernetzwerk hat gerade eine Solikampagne gestartet. Dabei fotografieren sich Menschen mit einem Schild, auf dem steht »I am Bradley Manning« und laden das Bild im Internet hoch. Daran sollte man sich auch in Deutschland beteiligen, rät Höfinghoff. Wir alle sind Bradley Manning, soll das sagen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.