Parteitag elektrisiert Atomkraftgegner
Bundesvorstand fordert Zustimmung zum schwarz-gelben Ausstiegsgesetz / Klaus Töpfer als Redner erwartet
Bei den Grünen mehren sich die Stimmen, die sich gegen die vom Parteivorstand empfohlene Zustimmung zur schwarz-gelben Atomgesetznovelle aussprechen. Am Samstag werden die Delegierten auf einem Sonderparteitag in Berlin über die Haltung der Grünen zum AKW-Ausstieg bis zum Jahr 2022 abstimmen. Die Basis hat bisher 25 eigene Anträge und rund 50 Änderungsanträge zum Leitantrag der Parteispitze eingereicht. Zwei Anträge davon sollen als alternative Leitanträge auf dem Parteitag debattiert werden. Darin wird zwar die Analyse des Bundesvorstandes weitgehend geteilt, aber als Schlussfolgerung das schwarz-gelbe Atomkonzept abgelehnt. Dieser Konflikt zwischen Realos und Parteilinken wird am Samstag verbal ausgetragen.
Trotz des massiven innerparteilichen Widerstandes versucht Parteichef Cem Özdemir Gelassenheit zu demonstrieren. Er sei zuversichtlich, dass die Mehrheit der Delegierten für den Leitantrag stimmen werde. Auch eine Umfrage der »Rheinischen Post« hatte kürzlich ergeben, dass die Landesverbände den Antrag des Parteivorstandes im Grundsatz mehrheitlich unterstützen werden. Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke ist mit Prognosen deutlich vorsichtiger. Es sei aus ihrer Sicht völlig offen, wie die Abstimmung ausgehen werde. »Es wird kein einfaches Ja und kein einfaches Nein geben«, sagte Lemke. Zudem könne beim Parteitag eine Mehrheit der Delegierten verlangen, den Atomausstieg im Grundgesetz festzuschreiben. Eine Forderung, die bereits die LINKE als Voraussetzung zur Zustimmung zur Atomgesetznovelle erhoben hatte. Dies komme für die Grünen aber nicht infrage, so die Bundesgeschäftsführerin. Denn in dem kurzen Zeitraum bis zur Abstimmung im Bundestag am 30. Juni könne ein Antrag für eine Grundgesetzänderung nicht bewerkstelligt werden. Ein Ausstieg aus der Kernenergie sei bis 2017 machbar, sagte Lemke. Trotzdem bezeichnete sie die Rücknahme der Laufzeitverlängerung und die sofortige Abschaltung der sieben ältesten AKW durch Schwarz-Gelb als »einen historischen Sieg der Anti-AKW-Bewegung und eine Bankrotterklärung der Regierung Merkel«.
Die Anti-AKW-Bewegung sieht das anders. Sie fordert die Grünen auf, sich weiterhin konsequent für einen Ausstieg bis zum Jahr 2017 einzusetzen. »Die Bürger wollen eine frühere Abschaltung der Kernkraftwerke. Sollten die Grünen für die Ausstiegspläne der Bundesregierung stimmen, werden sich bald auch viele Wähler von der Partei abwenden«, erklärte Jochen Stay, Sprecher der Anti-AKW-Organisation »ausgestrahlt«. Die Atomkraftgegner würden auch den Sonderparteitag kritisch begleiten. »Wir werden am Samstag vor Ort sein und die Reden mit einem Fakten-Check-Ticker via Twitter einer Analyse unterziehen«, kündigte Stay an.
Seine Organisation hatte sich vor kurzem gemeinsam mit Umweltverbänden und weiteren Anti-AKW-Initiativen in einem Offenen Brief an die Grünen gewandt und sich darin gegen die Zustimmung zum schwarz-gelben Ausstieg ausgesprochen. Darauf haben nun Özdemir und Ko-Parteichefin Claudia Roth in einem Brief geantwortet. Sie warnen vor einem Bruch zwischen Partei und AKW-Gegnern. Als Ursache für den Konflikt imaginieren Özdemir und Roth offenbar »die Strategie der Atomlobby, die uns gespalten sehen will«. Darauf dürfe man nicht hereinfallen. Anstatt auf die Initiativen zuzugehen, schreiben die Realos: »Wir Grüne müssen uns auch am politisch Machbaren und praktisch Umsetzbaren orientieren, um den Wandel zu sichern.« Wie der Dialog zwischen Grünen und Anti-AKW-Bewegung weitergeht, ist fraglich. Zwar gab es laut Stay Gespräche darüber, ob auf dem Parteitag auch ein Vertreter der Bewegung zur Energiewende sprechen dürfe, aber das Ergebnis stand bis Redaktionsschluss noch nicht fest.
Sicher scheint dagegen wohl der Auftritt von Klaus Töpfer zu sein. Der Leiter der von der Bundesregierung eingesetzten Ethikkommission zum Atomausstieg wird als Redner erwartet. Die Einladung an den früheren CDU-Umweltminister dürfte Wasser auf die Mühlen derjenigen sein, die in dem Atomkurs der Parteispitze auch eine Annäherung der Grünen an die Union sehen.
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