HANS HEINZ HOLZ: Oft unerfreulich

Marginalien zum KLEIST-JAHR 2011

  • Lesedauer: 2 Min.

Heinrich von Kleist steht sich selbst im Licht. Die innere Zwiespältigkeit, die nicht nur sein Wesen, sondern auch sein Werk zerreißt, macht uns die Beschäftigung mit ihm oft quälend, wenn wir auch unter dem unentrinnbaren Zwang stehen, den sein Werk auf uns ausübt. Hat man sich einmal Kleist zugewandt, so kann man ihm nicht mehr entrinnen. Indessen bleibt die Auseinandersetzung mit ihm schwierig, oft unerfreulich. Von seinen Dramen werden wir nur die wenigsten mit Genuss lesen, ja nicht einmal sehen: Die Schauermär von der »Familie Schroffenstein« ist unerträglich, und man würde sie dem Vergessen anheimgeben können, wenn in ihr nicht bereits alle Elemente Kleistscher Dramatik enthalten wären: Die Entartung der Fabel ins Grässliche, der Umschlag der Sprache in die Negation ihrer selbst, nämlich als Nicht-verstehen-Können, die Irrealität, die Unglaubwürdigkeit und das Zaubrisch-Mystische einzelner sinndeutender Züge. Die Mischung von Ritterdramatik und Wundersüchtigkeit im »Käthchen von Heilbronn« sagt uns kaum zu, so wenig wie sie Goethe zusagte, der das ihm zur Prüfung übersandte Manuskript entsetzt in den Ofen warf. Die Metzelei in der »Hermannsschlacht« und ihr patriotischer Immoralismus stoßen uns ab. Der Somnabilsmus des »Prinzen von Homburg« erscheint uns ebenso fragwürdig wie das preußische Gehorsamsideal des Kurfürsten. Daneben stehen so großartige Stücke wie die erschütternd-grauenvolle »Penthesilea«, der wehmütig-heitere »Amphitryon«, »Guiskard« und der »Zerbrochene Krug«, dessen prachtvoller Realismus uns Kleist vielleicht noch am nächsten bringt. Daneben stehen die Novellen, die das Bedeutende in äußerster Konzentration vor uns stellen. So zieht uns Kleist zugleich an und stößt uns ab.

Aus: Hans Heinz Holz: Macht und Ohnmacht der Sprache. Sprachverständnis und Stil Kleists. Aisthesis Verlag, Bielefeld 2011

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