Schlampen gehen auf die Straße
Erstmals finden »SlutWalks« am kommenden Wochenende auch in Deutschland statt
Egal ob Chicago, Amsterdam oder Stockholm – wo auch immer auf diesem Planeten ein »SlutWalk« stattfindet, ähneln sich die Bilder: Freizügig gekleidete, oft jüngere Frauen ziehen durch die Straßen mit bunten Schildern und Transparenten, auf denen Sprüche stehen wie »Mein kurzes Kleid bedeutet nicht »Ja«. Oder: »Sagt nicht Frauen, was sie anziehen sollen, sondern Männern, dass sie nicht vergewaltigen sollen.« Vieles wirkt bunt, grell und selbstbewusst. Doch da sind auch die anderen, die unscheinbareren, die leiseren Stimmen. Männer, die ihre Solidarität ausdrücken wollen, oder Frauen in schlichter Kleidung wie Jeans und Pullover, die vermitteln soll, dass es jede treffen kann, egal was für Kleidung sie trägt.
Das zentrale Anliegen der SlutWalk-Bewegung ist die Zurückweisung des Mythos, dass Frauen, die sich freizügig kleiden, damit Männer zu sexualisierter Gewalt provozieren würden. »Bei der SlutWalk-Bewegung geht es nicht darum, endlich mal halb nackt durch die Stadt laufen zu dürfen«, so Anna Rinne, eine der Veranstaltenden in Hamburg, »Es geht viel mehr darum, dass, wenn Personen halb nackt durch die Stadt laufen würden, es nicht ihre Schuld ist, wenn ihnen Gewalt angetan wird. Die Schuld liegt immer und eindeutig bei den Gewalt Ausübenden.« Bei aller Buntheit und Farbenfreude ist der Hintergrund also ein durchaus ernster.
SlutWalks sind ein noch recht junges Phänomen. Der erste »Marsch der Schlampen« fand Anfang April dieses Jahres im kanadischen Toronto statt, nachdem dort ein Polizeibeamter einigen jungen Studentinnen im Rahmen eines Sicherheitstrainings geraten hatte, sie sollten sich »nicht wie Schlampen anziehen«, wenn sie nicht Opfer sexueller Gewalt werden wollten. Die Studentinnen waren empört und machten die Geschichte publik. Zunächst forderte die verfasste Studierendenschaft nur eine schriftliche Entschuldigung. Wenige Wochen später gingen über 3000 Menschen in der Hauptstadt der kanadischen Provinz Ontario auf die Straße.
Deutlich kleiner fiel der erste SlutWalk in der Bundesrepublik aus. Am 23. Juli zogen rund 40 Menschen durch die Passauer Innenstadt. Doch für eine Stadt, die vor allem dafür bekannt ist, dass dort jedes Jahr der politische Aschermittwoch der CSU stattfindet, ist das sicherlich schon mehr als ein Achtungserfolg. Etwas größer dürfte es allerdings schon werden, wenn am kommenden Wochenende »Schlampenmärsche« in Berlin, München, Frankfurt, Hamburg und Dortmund stattfinden. In Berlin alleine wird von den Veranstaltenden mit 2000 bis 3000 Menschen gerechnet. In den anderen Städten dürfte es ähnlich aussehen. Immerhin waren die meisten SlutWalks bisher überaus gut besuchte Veranstaltungen. So nahmen etwa an den SlutWalks in drei finnischen Städten am vergangenen Wochenende zusammengenommen rund 6500 Menschen teil und damit deutlich mehr als etwa an den dortigen traditionellen Demonstrationen zum 1. Mai.
In den Augen der Veranstaltenden stellen SlutWalks dabei durchaus auch einen Versuch dar, verkrustete Demonstrationsformen aufzubrechen. »Wir wollen keine straff organisierte ›Schwarzer Block‹-Demonstration, auf die sich Leute nicht trauen, auch wenn sie thematisch interessiert sind«, so Norbertina vom SlutWalk Berlin. »Wir hoffen viel mehr, dass sich möglichst viele Leute eingeladen fühlen, auch wenn sie nicht unbedingt demoerfahren oder Teil der linken Subkultur sind.« Dementsprechend erwartet sie und erhofft sie sich, dass am Samstag auf dem Wittenbergplatz im Berliner Szenestadtteil Schöneberg ein in jedem Sinne des Wortes bunter Haufen auflaufen wird.
Idealerweise sollen die Veranstaltungen ganz nebenbei auch dazu beitragen, mit gängigen Vorurteilen gegenüber Feministinnen aufzuräumen. Dieser Meinung ist auch Norbertina: »Viele Leute, die sich nicht bewusst einer feministischen Szene zugehörig fühlen, schrecken vor dem Feminismus-Begriff zurück, auch wenn sie feministische Ideale verfolgen und sich in irgendeiner Weise an feministischen Kämpfen beteiligen. Für viele ist Feminismus gleichbedeutend mit Penisneid und Männerhass, mit Spaß- und Sexfeindlichkeit.« SlutWalks dagegen zeigen, dass Feminismus auch Spaß machen kann, ohne dass dabei auch nur ein Millimeter an Forderungen nach Gleichberechtigung und Selbstbestimmung aufgegeben werden muss.
Teil des SlutWalk-Konzeptes ist es auch, sich das Wort »Schlampe« wieder anzueignen und inhaltlich positiv zu besetzen. Statt eines Schimpfwortes sollte es viel mehr eine Bezeichnung sein für jemanden mit selbstbewusster und selbstbestimmter Sexualität. Das Problem ist so alt wie bekannt: Ein Mann, der mit vielen Menschen Sex hat, ist ein toller Hecht. Eine Frau, die dasselbe tut, gilt als »Schlampe« und gerät unter Rechtfertigungsdruck.
Das ist nicht nur unfair, sondern auch Unsinn und Ausdruck herrschender Machtverhältnisse, denn allen erkämpften Verbesserungen zum Trotz wird diese Gesellschaft noch immer von Männern dominiert. Es geht also um sehr viel mehr als nur um Sexyness und kurze Röcke, wenn an diesem Wochenende die »Schlampen« auf die Straße gehen.
Wider die Männermythen
Der erste SlutWalk – »Marsch der Schlampen« – fand am 3. April dieses Jahres im kanadischen Toronto statt, nachdem ein Polizeibeamter Frauen öffentlich geraten hatte, sie sollten »sich nicht wie Schlampen anziehen, wenn sie nicht Opfer sexueller Gewalt werden wollen«. Bei SlutWalks geht es vor allem darum, den Mythos, Frauen würden Männer durch freizügige Kleidung zu sexualisierter Gewalt provozieren, als falsch und gefährlich zu brandmarken und für eine selbstbewusste weibliche Sexualität auf die Straße zu gehen. Am Samstag, dem 13. August finden SlutWalks in fünf deutschen Großstädten statt.
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