»weltwärts« nach der Ausbildung?
Vorwiegend Abiturienten machen entwicklungspolitischen Freiwilligendienst
Während eines Vorbereitungsseminars des Freiwilligenprogramms »weltwärts« handeln die Teilnehmer mit Pappkärtchen, die wertvolle Ressourcen symbolisieren. In wenigen Wochen werden sie nach Mexiko ausreisen, um dort in verschiedenen Projekten ein Jahr lang einen Lerndienst zu leisten. Alle Teilnehmer dieses Vorbereitungsseminars sind Abiturienten, bis auf Johannes Schwäbl. Der junge Mann hat nach seinem Realschulabschluss eine Ausbildung als Energieelektroniker gemacht, aber bald wird er für eine mexikanische Menschenrechtsorganisation arbeiten. »Ich komme aus einem ziemlich kleinen Dorf«, erzählt er. »Dort ist es normal, dass man nach der Realschule eine Ausbildung macht und dann fleißig in das Arbeitsleben geht. Aber ich war schon immer politisch interessiert. Andere Leute würden vielleicht in eine große Stadt ziehen. Ich werde in ein anderes Land gehen.«
Anfang 2008 hat das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit den Freiwilligendienst »weltwärts« aus der Taufe gehoben. Seither wurden nahezu zehntausend junge Leute in entwicklungspolitisch relevante Projekte rund um den Globus vermittelt. Johannes Schwäbl ist einer der sehr wenigen Freiwilligen, die ohne Abitur weltwärts gehen. Das Bundesministerium betont immer wieder, das »weltwärts«-Pro- gramm wende sich auch an junge Leute, die nach einem Hauptschul- oder Realschulabschluss eine Lehre gemacht haben. Karin Schüler ist Leiterin des »weltwärts«-Se- kretariats in Bonn. »Das Programm ist nicht nur offen für Abiturienten«, sagt sie, »sondern für alle Menschen im Alter von 18 bis 28. Das ist ein Grundstein des Programms.«
In der Praxis aber sind über neunzig Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer Abiturienten. Professor Josef Freise von der Katholischen Hochschule in Köln hat ein Forschungsprojekt zu dem Freiwilligendienst durchgeführt: »Ich glaube nicht, dass so ein Programm wirklich offen für alle sein kann. Es ist offen für diejenigen, die bestimmte Kompetenzen mitbringen, zum Beispiel Sprachkompetenzen. Es geht nicht darum, die jungen Leute quasi als Entwicklungshelfer einzusetzen. Sie können immer nur Lernende sein, die in den Projekten eine gewisse Unterstützung leisten. Meine Vermutung ist, dass ein weltwärts-Dienst 18-jährige Auszubildende oft noch überfordert. Ganz anders ist das mit 21- oder 22-Jährigen, die durch den Scheuersack der Ausbildung gegangen sind. Die haben eine persönliche menschliche Reife gewonnen und sind häufig gut vorbereitet auf solch einen Einsatz.«
Seit einiger Zeit bemühen sich die Verantwortlichen des Programms verstärkt um das Thema »weltwärts nach der Ausbildung«. Die ehemalige Berufsschullehrerin Irma Hermann vom Welthaus Bielefeld versucht, junge Leute in Betrieben und Berufsschulen zu motivieren. Besonders erfolgreich war sie bisher nicht. »Jugendliche, die eine Ausbildung abgeschlossen haben, verfolgen häufig einen klaren Lebensplan«, meint Herrmann. »Manche haben sich schon vor der Ausbildung festgelegt. Sie wollen Geld verdienen, um sich von ihren Eltern unabhängig zu machen. Dafür müssen sie sich in ihrem Betrieb etablieren. Der Gedanke an einen langen Aufenthalt in einem anderen Erdteil ist ihnen ziemlich fremd.«
Oft sind es aber auch die Arbeitgeber, die skeptisch reagieren. Herrmann erzählt: »Einmal hat mir ein Unternehmer gesagt: ›Wenn wir einen Auszubildenden so ein Programm machen lassen, dann ist der für unser Arbeitsleben nicht mehr zu gebrauchen.‹«
Es gibt zwar einige »welt- wärts«-Freiwillige, die eine Ausbildung abgeschlossen haben, aber die meisten von ihnen haben zuvor Abitur gemacht, so wie die Mediengestalterin Anna Ackermann: »Als Abiturient wird man viel mehr motiviert, ein Auslandsjahr zu machen. Man bekommt viel mehr Informationen. Nach der Ausbildung ist das überhaupt nicht so.«
Für Anna Ackermann kam die Möglichkeit, einen Freiwilligendienst mit »weltwärts« zu leisten, genau zum richtigen Zeitpunkt. Zwar hatte sie eine feste Anstellung. Aber mit ihren 25 Jahren fühlt sie sich noch zu jung, sich festzulegen: »Ich bin in Aufbruchstimmung. Ich habe gekündigt und weiß noch nicht genau, was ich nach dem Jahr machen werde. Vielleicht werde ich ein Studium beginnen, möglicherweise im sozialen oder entwicklungspolitischen Bereich.«
Auch Johanna Bernutz, 23, hat nach dem Abitur eine Ausbildung gemacht, als Hörgeräteakustikerin. Danach hat sie ein Jahr lang Berufserfahrung gesammelt. In Kürze wird sie in dem peruanischen Andendorf Cajamarca als Freiwillige in einem Gesundheitsprojekt arbeiten. »Meine Stelle gibt es erst seit einem Jahr. Wenn ich hingehe, bin ich die zweite Akustikerin. Zur Zeit arbeitet dort eine andere Freiwillige. Das ist schon eine tolle Sache, denn in Ländern wie Peru kennen die Gesundheitsprojekte meist ja gar nicht die Möglichkeiten der Akustiktechnik.«
Johanna Bernutz' Aufgabe wird es sein, Hörgeräte exakt einzustellen auf die Bedürfnisse der ohne Hilfsmittel nahezu gehörlosen Patienten. In der abgelegenen Bergregion gibt es sonst niemanden, der sich mit dieser Technik auskennt. »Deshalb ist es ein Traum, dass ich in einem solchen Projekt arbeiten kann. Es sollte noch viel mehr solcher Angebote geben, denn die Leute sollen ja am Leben teilnehmen können, auch wenn sie arm sind. Und gerade das Hören ist dafür besonders wichtig.«
Das »Welthandel-Spiel« geht zu Ende. Die Teilnehmer haben sich in Kleingruppen zusammengefunden, um über die neu gewonnenen Erkenntnisse zu diskutieren. Johannes Schwäbl hält die Vorbereitungsseminare für hilfreich. Noch hat er nicht alle Antworten, aber ihm ist anzusehen, wie sehr er sich auf den Abreisetag freut. »Ich hoffe, dass ich nützlich sein kann, denn die Organisation, für die ich arbeiten werde, ist eine ganz tolle Organisation.«
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