Vom Kriminellen zum Terroristen?
Kurde sieht sich nach der Verurteilung wegen PKK-Mitgliedschaft nun erneutem Verfahren ausgesetzt
Der 38-jährige Kurde Vakuf M. ist im ersten Verfahren zu zwei Jahren Haft verurteilt worden, weil er angeblich Mitglied der PKK ist, die sich seit Jahrzehnten im Kampf mit der türkischen Regierung um mehr Selbstbestimmung befindet. Verurteilt wurde er wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, nach Paragraf 129 des Strafgesetzbuches. Er hat seine Strafe abgesessen, doch damit ist die Sache nicht ausgestanden.
Im neuen Verfahren nun geht es um Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, nach Paragraf 129b StGB. Dies ist für die juristischen Konsequenzen von erheblicher Bedeutung. Hintergrund ist eine Revisionsentscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH) im Fall des Angeklagten vom 28. Oktober 2010. Demzufolge soll die Strafverfolgung nach Paragraf 129b StGB auch auf die PKK und deren Teilorganisationen angewendet werden. Mit diesem Urteil hat der BGH die bisherige Rechtsprechung, mutmaßliche Funktionäre und Unterstützer als Mitglieder einer inländischen »kriminellen Vereinigung« gemäß Paragraf 129 StGB oder dem Vereinsgesetz zu behandeln, verworfen.
Bereits am 17. Juli nahmen Beamte des Bundeskriminalamtes zwei weitere kurdische Aktivisten fest. Die Bundesanwaltschaft (BAW) beschuldigt auch die 28-jährigen Ridvan Ö. und Mehmet A. der Mitgliedschaft in der PKK (ND berichtete). Der nun begonnene Prozess kann als Pilotverfahren angesehen werden. Die EU hatte die PKK 2002 auf die EU-Terrorliste gesetzt. Das Gericht hatte im ersten Prozess als erwiesen gesehen, das Vakuf M. sich in Deutschland als PKK-Gebietsverantwortlicher betätigt habe. Konkrete Straftaten oder Anschläge werden ihm auch im Rahmen des jetzigen Paragraf-129b-Verfahrens nicht vorgeworfen. Die Bundesanwaltschaft bewertet die PKK als terroristische Vereinigung im Ausland, da sie über »militärisch strukturierte Guerillaeinheiten« verfüge, »die Attentate auf türkische Polizisten und Soldaten verüben« würden.
Die Anwälte des Beschuldigten, Sönke Hibrans und Berthold Fresenius, kritisierten erhebliche Lücken in der Beweisführung der BAW. Thema der Verhandlung müsse sein, dass es sich beim türkisch-kurdischen Konflikt um einen bewaffneten Konflikt nach Konfliktvölkerrecht handele. »Denn auch nach der Erkenntnislage der BAW ist die Guerilla der PKK (HPG) eine in militärischen Formationen gegen überwiegend militärische Ziele auf türkischer Seite vorgehende Organisation. Damit ist sie eine Konfliktpartei in einem bewaffneten Konflikt im Sinne des Völkerrechts«, so die Anwälte. Eine Einstufung der Aktionen der Organisation als Anschläge oder Terror träfe deshalb nicht zu. Der bewaffnete Kampf der HPG sei gemäß dem 1. Zusatzprotokoll der Genfer Konventionen nicht illegal, »wenn er sich gegen lang anhaltende rassistische oder koloniale Unterdrückung richtet und für das Selbstbestimmungsrecht eines Volkes im Rahmen des humanitären Völkerrechts geführt wird«. Diese Kriterien sind in Anbetracht der dokumentierten kontinuierlichen, gravierenden Menschenrechtsverletzungen, extralegalen Hinrichtungen und nachgewiesenen Kriegsverbrechen bis hin zu Chemiewaffeneinsätzen seitens des türkischen Militärs sowie der Sicherheitskräfte erfüllt. Das Heidelberger Institut für Konfliktforschung datiert den Beginn des schweren Konflikts in heutiger Prägung, »der sich seit ca. 30 Jahren militärisch zugespitzt hat«, auf das Jahr 1920.
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