SCHURKEN und SCHÖNE

  • Peter H. Feist
  • Lesedauer: 7 Min.
Leonardo da Vinci Dame mit dem Hermelin (Portrait der Cecilia Gallerani), 1489/90 Krakau, Besitz der Prinz Czartoryski Stiftung, im Nationalmuseum Krakau
Leonardo da Vinci Dame mit dem Hermelin (Portrait der Cecilia Gallerani), 1489/90 Krakau, Besitz der Prinz Czartoryski Stiftung, im Nationalmuseum Krakau

Die Mona Lisa ist nicht dabei. Aber die kaum weniger geheimnisvolle Dame mit einem Hermelin – ebenfalls von Leonardo da Vinci. Davon später mehr. Jedenfalls lohnt sich der Besuch der großartigen Ausstellung von Porträts aus der italienischen Frührenaissance, die der Berliner Gemäldegalerie und Skulpturensammlung in Zusammenarbeit mit dem New Yorker Metropolitan Museum nach jahrelangen Bemühungen gelungen ist.

Rund 50 Sammlungen in 13 Ländern waren bereit, sich mit Leihgaben zu beteiligen, so dass mit etwa 140 hervorragenden Gemälden, Skulpturen, Medaillen, Münzen und Zeichnungen die italienische Frühphase der neuzeitlichen Bildniskunst veranschaulicht werden kann. Es handelt sich um eine der wichtigsten und schönsten Strecken der Kunstgeschichte. Um davon auch die zu überzeugen, denen das noch nicht klar ist oder die vielleicht Objekte aus Schrott interessanter finden, wählten die Veranstalter in der seit Wochen laufenden Werbung eine unübliche saloppe Wortwahl und wollen besonders die Leser der »Bild-Zeitung« weiterbilden, die mehrheitlich nicht gerade als Kunstliebhaber bekannt sind.

Auch im Mittelalter waren Künstler fähig, charaktervolle Porträts zu schaffen, wie wir eindringlich an den Stifterfiguren im Naumburger Dom sehen können. Aber das blieben Ausnahmen. Vorherrschend war eine andere Auffassung von Kunst und ihren Funktionen. Dann aber führten tiefgreifende ökonomische und soziale Veränderungen in Italien, aber auch andernorts, vor allem in den Niederlanden, dazu, dass sich die Rolle der Persönlichkeit, wenn sie aus einer der machthabenden Schichten kam, entscheidend erhöhte.

Überschwänglich schrieb Friedrich Engels, dass in dieser Zeit – er meinte freilich erst das späte 15. Jahrhundert – Riesen an Denkkraft, Leidenschaft und Charakter, an Vielseitigkeit und Gelehrsamkeit gebraucht wurden und daher auch entstanden. Wer in der DDR zur Schule ging oder sich für Geschichte interessierte, kannte diese Worte von den Heroen jener Zeit. Engels versäumte nur, die schönen, auch klugen Frauen zu erwähnen.

Von der Kunst wurde nun ein genaues Bild ihrer Erscheinung, wie überhaupt der gesamten sichtbaren Außenwelt, erwartet. Nachdem schon länger Figuren in szenischen Darstellungen mit religiöser Bedeutung individualisierte Gesichter erhalten hatten, wurden Bildnisse von lebenden Personen im 15. Jahrhundert endgültig zu einer eigenen und wichtigen Kunstgattung, wie es schon im Altertum der Fall war. Eigentlich geschah das merkwürdig spät. Eine neue Sicht auf den Menschen war schon um 1300 von Dichtern wie Dante, Petrarca und dem Maler Giotto entfaltet worden. Porträthaft ist dann das Reliquiar für den Hl. Rossore, das Bildhauer Donatello um 1425 schuf und mit dem die jetzige Ausstellung eröffnet wird.

Nunmehr wetteiferten die Reichen und politisch Mächtigen darum, ihr Antlitz festgehalten zu bekommen und anderen damit zu imponieren, und die besten Maler und Bildhauer wetteiferten auch. Wahrscheinlich war es Masacccio, der entschiedenste Neuerer der italienischen Malerei im frühen 15. Jahrhundert, von dem auch das erste noch erhaltene Bildnis eines Lebenden in Florenz stammt (um 1426/27), das nun aus Boston nach Berlin kam. Die erste gesicherte Porträtbüste eines Zeitgenossen war wohl die des Piero di Cosimo de Medici (1453-54) von Mino da Fiesole.

Die plastischen wie die gemalten Porträts sind in der Regel Büsten, die bis zu den Schultern reichen. Vor allem bei den Gemälden kamen auch Halbfiguren vor, die den Ausdruck der Hände mit einbezogen. Die Florentiner Maler bevorzugten Profilbildnisse, wie sie auch auf Münzen anzutreffen waren, weil sie dabei ihrer Neigung folgen konnten, mit linearen Mitteln zu gestalten. In Venedig wählte man eher einen feineren Wohlklang von Farben, der eine atmosphärische Stimmung ergab.

Wenn Namen und Lebensumstände der Dargestellten bekannt sind, lässt sich nachdenken, ob das Bildnis den Charakter glaubwürdig vermittelt oder die Person so zeigt, wie sie gesehen und beurteilt werden wollte. Da konnte auch ein Schurke sich als Edelmann gebärden. Bei Unbekannten können wir uns ganz auf die vom Künstler eingesetzten Gestaltungsmittel konzentrieren.

Die Ausstellung informiert über die Entwicklung während etwa siebzig Jahren in Florenz, in verschiedenen kleinen Feudalstaaten, in der Adelsrepublik Venedig und auch speziell über Porträts von Angehörigen der mächtigen Bankiers- und zuletzt Herzogsfamilie Medici. Mit wenigen instruktiven Beispielen wird auf die Wechselbeziehungen mit der Kunstentwicklung in Ländern nördlich der Alpen hingewiesen. Errungenschaften der niederländischen Malerei, zum Beispiel in der Landschaftsdarstellung in Bildhintergründen der Porträts, schätzte man in Italien, und mit Porträts, die italienische Künstler von Deutschen schufen, wie beispielsweise die metallene Büste des Kurfürsten Friedrich der Weise von dem Florentiner Adriano (1489, für das Schloss in Wittenberg), wurden Eigentümlichkeiten der italienischen Renaissance in Deutschland besser bekannt.

Die Malerei und Plastik von damals wirkt auf uns unkompliziert, weil ihr ein eingehendes Studium der erscheinenden Realität zugrundeliegt. Zahlreiche Zeichnungen belegen das. Aber die wiedererkennbare Ähnlichkeit musste unter Umständen hinter einer Anpassung an ein Idealbild von Schönheit und anderer Vollkommenheit zurücktreten. Das Porträt ging dann in eine bedeutungsvolle Personifikation über. In der Ausstellung wird das an zwei Gemälden Botticellis vorgeführt, um die losen und wehenden Haare der von Giuliano de Medici platonisch verehrten Simonetta Vespucci zu erklären. Eines der Bilder ist ungewöhnlicherweise mehrfach lebensgroß.

Wir können das früheste erhaltene Doppelporträt eines Ehepaares sehen, das Filippo Lippi wohl um 1440-44 malte, mit einer stolzen Frau und einem Mann, der sich ihr durch eine Fensteröffnung nähert, und werden berührt durch das Doppelporträt Domenico Ghirlandaios von einem alten Mann mit entstelltem Gesicht und einem blonden Knaben, wohl dem Enkel, beide sichtlich einander in Zuneigung verbunden (um 1490, aus dem Louvre). Dieses Bild blieb sicherlich als Erinnerung in der Familie. Hingegen sind die drei ganz ähnlich angelegten Porträts (heute in Berlin, Bergamo und Washington), die Botticelli von dem 1478 ermordeten Giuliano de Medici schuf, dazu bestimmt gewesen, bei verschiedenen Empfängern um Sympathie für die Medici zu werben. Der Maler oder seine Mitarbeiter erprobten verschiedene Gestaltungen des Hintergrunds. Die Forschung hat hier noch viel zu klären. Sie ist dankbar, wenn eine Ausstellung dieser Art es ermöglicht, die Werke direkt miteinander zu vergleichen.

Schluss- und Höhepunkt der Ausstellung, die zum Schutz der lichtempfindlichen Bilder in dunklen und überdies schwarz ausgekleideten Sälen eingerichtet wurde, ist Leonardos eingangs erwähnte Dame mit Hermelin von 1489/90. Man fand heraus, dass es sich um Cecilia Gallerani handelt, eine damals etwa siebzehnjährige Geliebte des Mailänder Herzogs Ludovico Sforza, genannt il Moro, die ihm 1491 ein Kind gebar und im gleichen Jahr, da er nun eine Fürstin heiratete, von ihm mit einem anderen Gatten »abgefunden« wurde. Das weiße Tier, das sie mit einer edel geformten Hand behutsam hält, galt als Symbol der Reinheit und Keuschheit und meinte wohl auch den Herzog selbst, der ungeachtet seines Lebenswandels einem Hermelinorden angehörte.

Das kleine Tafelbild gilt als das wertvollste Kunstwerk in Polen. Fürst Adam Czartoryski hatte es 1800 erworben und seiner Mutter geschenkt. Später wurde es mit der Sammlung Czartoryski, einem der ersten Privatmuseen überhaupt, in Krakau ausgestellt. Nach Deutschlands Überfall auf Polen 1939 hängte es Generalgouverneur Frank in sein Arbeitszimmer und nahm es mit, als er 1945 nach Bayern floh, wo ihn die Amerikaner fingen.

Seit 1991 ist die Sammlung eine mit dem polnischen Staat vereinbarte Stiftung im Krakauer Nationalmuseum. Nach jahrelangen Verhandlungen erreichte Kurator Stephan Weppelmann, dass das empfindliche Bild als ein Zeichen guter polnisch-deutscher Beziehungen nach Berlin reisen durfte, von wo es allerdings schon vor Ende der Ausstellung, am 1. November, in eine umfassende Leonardo-Ausstellung nach London weiterzieht. Die Entscheidung über die Ausleihe fiel offensichtlich so spät, dass diese Hauptsensation der Ausstellung peinlicherweise nicht in den Katalog aufgenommen und nur in einem Essay behandelt und abgebildet wurde.

Das Porträt der Cecilia Gallerani hat noch die eher kühle Klarheit der Frührenaissance-, der Quattrocento-Malerei, aber doch schon einen Anflug des sfumato, jener hingehauchten Verschattung, die dann für Leonardos Bilder kennzeichnend wurden. Insgesamt konnte die wärmere, volltönige malerische Gestaltung (die dann bald von Raffael, der mit einem Frühwerk vertreten ist, und vor allem Giorgione und Tizian, den Großmeistern der Hochrenaissance, erreicht wurde) nicht auch noch in dieses Ausstellungsereignis einbezogen werden.

Es dürfen wegen der Temperatur und Luftfeuchtigkeit immer nur 300 Besucher gleichzeitig in den Räumen des Museums sein. Sie müssen sich auf beträchtliche Wartezeiten einstellen oder vorher für einen bestimmten Zeitpunkt buchen. Sofortigen Eintritt gibt es für ein teures VIP-Ticket oder manchmal für ein verbilligtes Frühaufsteher-Ticket um 9 Uhr. Noch einmal: Es lohnt sich!

Info

Gesichter der Renaissance - Meisterwerke italienischer Portrait-Kunst

Berlin, Bode-Museum, Am Kupfergraben, bis 20. 11., tägl. 10-18, Do-22 Uhr. Eintritt 14/erm., 7 Euro inkl. Multimediaguide, mit BahnCard 11 Euro;
VIP-Ticket 30 Euro, tägl.10-11, 14-15, Do 18-21 Uhr
Early-Bird-Ticket 10 Euro, Mo, Di, Do, Fr 9-9,30 Uhr
Katalog, 432 S., 29 Euro.

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