Pathos, Kitsch – Revolution!
Arbeiter- und Freiheitslieder aus 150 Jahren – eine Sammlung auf zwölf CDs
Von Gesängen über die gescheiterte Revolution von 1848 und Klassikern aus der Frühzeit der Arbeiterbewegung über die Lieder von Brecht und Eisler bis hin zu den Agitprop-Folksongs der linkssozialdemokratischen, friedensbewegten und DKP-Liedermacher der siebziger Jahre ist hier alles Liedgut versammelt, das zur linken Gemeinschaftsbildung ebenso unverzichtbar ist wie zum Beschallen von Ostermärschen. Spätestens seit der Nachkriegszeit diente, wie Jörg Sundermeier in der »taz« festgestellt hat, das Arbeiterkampflied nämlich vor allem »vielen Linken zur Selbstversicherung der eigenen politischen Identität«.
Wer die Nerven dazu hat – und die benötigt man –, kann sich einen kompletten Tag lang durch das Material hören, ohne eine einzige der CDs ein zweites Mal in den Player legen zu müssen. Bei genauem Zuhören wird man einiges entdecken, was insbesondere der Kultur der deutschen Arbeiterbewegung zu eigen ist, etwa die bedenkenlose Glorifizierung der (körperlichen) Arbeit als Wert an sich, das aus Neid und protestantischer Moral erwachsende Ressentiment gegen Luxus und Hedonismus oder die geradezu religiöse Inbrunst, mit der man sich seinem Ideal oder der Partei verschreibt.
Betrachtet man einen Großteil dieser Musik unter rein formalen Aspekten, lässt also die Geste des Widerständischen und Anklagenden außer acht, fällt unweigerlich das Strukturkonservative des kämpferischen Arbeiterliedes auf: Wir hören sich und ihre politische Mission überaus wichtig nehmende Barden, die an ihren Klampfen herumzupfen, kreuzbrave Gesangsquartette und Lieder schmetternde Arbeiterchöre, gescheitelte Herren mit oder ohne Parteibuch, die mit schlechten Versen, zackigem Marschgetrommel und penetrantem Schalmeiengetröte die Welt aus den Angeln heben wollen.
Zweifelsohne wird hier engagiert und kämpferisch für eine bessere Welt ohne Knechtschaft und Ausbeutung gestritten – doch musikalisch irritierend ist das selten gewesen. Versuche, den revolutionären Gehalt des Liedguts mit neuartigen und den Hörer herausfordernden musikalischen Formen zu verknüpfen, sind in dieser Tradition zumeist ausgeblieben. Was zweifellos die Ursache dafür ist, dass nicht wenig von dem vorliegenden Material, so interessant, historisch bedeutsam oder skurril es auch sein mag, heute wenig zeitgemäß klingt. Dass eine Musik des Protests, die als solche verstanden werden will, immer auch um eine Erschütterung und Erneuerung der musikalischen Formen bemüht sein muss, das hat man in den politischen Organisationen und Parteien der Arbeiterbewegung (und dem, was davon übrig blieb) offenbar nie verstanden.
Am Ende haben wir es auf diesen CDs häufig mit linksromantischen Volksweisen zu tun, in denen ein zuweilen schwer goutierbarer revolutionärer Optimismus, geballte Faust und »Vorwärts«-Geschrei dominieren. Schon bei der Entstehung in ihrer jeweiligen Zeit waren viele der Lieder auf Volkstümlichkeit bedacht, jeder und jede, der oder die sie hörte, sollte sie verstehen, wiedererkennen, mitsingen können. Das ist nicht weiter schlimm. Es ist aber auch der Haken an der Sache.
Doch bei allem, was zumindest einige dieser Lieder so unangenehm und schwer erträglich macht, sollte eines nicht unerwähnt bleiben: Viele von ihnen wurden einst als gefährliche, staatsfeindliche Hetze eingestuft. Jahrzehntelang wurden das Singen und Verbreiten solchen Liedguts bestraft und polizeilich verfolgt – erst im 19. Jahrhundert, später in der Zeit des Nationalsozialismus.
Dass nichts bleibt, wie es war. 150 Jahre Arbeiter- und Freiheitslieder. 4 CD-Boxen mit illustrierten Booklets, Erläuterungen und Texten sämtlicher Lieder (Bear Family Records).
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