Der alltägliche Datenklau

Eine besondere Stadtführung durch Kiel

  • Dieter Hanisch, Kiel
  • Lesedauer: 3 Min.
Meine Daten gehören mir? Ein Stadtrundgang in Sachen Datenschutz durch Kiel zeigte am Wochenende, dass genau dies nicht so ist.

Etwa ein Dutzend Teilnehmer hatte der Datenschutz-Rundgang, den der grüne Europa-Abgeordnete Jan Philipp Albrecht und Henry Krasemann vom Unabhängigen Landeszentrum für Datenschutz (UDL) Schleswig-Holstein am Samstag in Kiel durchführten. Politik zum Anfassen sozusagen, anschaulicher als Parteiprogramme oder Paragrafen.

An mehreren Stationen erklärten Albrecht und Krasemann verschiedene Aspekte des Datensammelns, der Privatsphäre und Informationsfreiheit – und das Spannungsfeld dazwischen. Der ULD-Experte aus seiner alltäglichen Erfahrung: »Wo Daten sind, werden auch Begehrlichkeiten geweckt.«

Unerlaubte Videokontrolle

Bei der Planung des Rundgangs hatte Albrecht noch nicht einmal das an diesem Tag stattfindende Regionalliga-Fußballderby zwischen Holstein Kiel und VfB Lübeck bedacht. Anlass für die Stadtführer, nicht nur auf filmende Polizeibeamte hinzuweisen, sondern auch auf das verwaltungs- wie verfassungsrechtlich umstrittene Thema »Gewalttäter Sport«. Seit 1994 trägt die Polizei bundesweit für die Zentrale Informationsstelle Sporteinsätze Personalien und Erkenntnisse über Hooligans zusammen und tauscht diese auch international aus.

Vor dem Kieler Hauptbahnhof und am Busbahnhof begann die Aufklärung zum Thema öffentliche Videoüberwachung und über die eigentlich engen juristischen Grundlagen dafür. Am Beispiel des Einkaufszentrums Sophienhof wurde der Bereich der privaten Überwachung erklärt. Überregional bekannt geworden war aus Kiel beispielsweise die unerlaubte Videokontrolle in der Kaffee-Kette Campus-Suite. Und im Kieler Vorort Kronshagen kam kürzlich auch ein Fall von unerlaubter Videoüberwachung im Eingangsbereich einee mehrgeschossigen Mietswohnanlage an die Öffentlichkeit.

Nächste Anlaufstellen waren die Telekommunikations-Anbieter Telekom und O2, bei denen exemplarisch auf das Thema Vorratsdatenspeicherung aufmerksam gemacht wurde. Bei den »Kieler Nachrichten« ging es dann um Pressefreiheit – mit Verweis auf den Informantenschutz auch für Anwälte, Seelsorger und parlamentarische Mandatsträger.

Eine weitere Station war die Bundesbank, die wie alle anderen Geldinstitute ihre Aufzeichnungen zu internationalen Finanztransaktionen laut SWIFT-Abkommen den US-Behörden zur Verfügung stellt – ein Vorgang, der von Datenschützern stark kritisiert wird. Vor dem Eingang der Kieler Kripo erläuterte Albrecht polizeiliche Befugnisse, den internationalen polizeilichen Datenaustausch, die behördliche Zusammenarbeit etwa mit dem Bundesgrenzschutz und auch die rechtlichen Grenzen dafür.

Stadtführer Albrecht kam vor dem Bahnhof und dem Telekom-Kundencenter nicht umhin, auch das Thema Arbeitnehmerdatenschutz zu erwähnen. Bahn und Telekom hatte bekanntlich in den vergangenen Jahren für entsprechende Datenskandale gesorgt. Krasemann ergänzte die Liste noch um das Beispiel Lidl, dessen Filialen sich nicht auf der Route der Datenschutz-Sightseeing-Tour fanden. Auf der Strecke lag dafür der ULD-Sitz, der an seinem Eingang ebenfalls mit einer Minikamera operiert, die laut Krasemann aber nur die Anzeigefunktion eines Sehspions erfüllt und keine Bilder aufzeichnet.

Nutzerprofile der Kunden

Krasemann ergänzte den Rundgang noch mit dem Verweis auf den Kieler Energieversorger. Über sogenannte Smart Grid und Smart Meter, die am Stromzähler dem Kunden eine Optimierung des Verbrauchs bieten sollen, kann das Unternehmen auch genaue Nutzerprofile erstellen. Während unterwegs über die aktuelle Facebook-Problematik diskutiert wurde und auch die jüngste apple/i-phone-Aufregung zur Sprache kam, wurde die geplante elektronische Gesundheitskarte nicht thematisiert. Das gilt auch für das bargeldlose Zahlen mit der EC-Karte an der Supermarktkasse, das sich im Zusammenhang mit dem Erstellen von Kundenprofilen häufig zum Nachteil von Verbrauchern auswirkt.

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