Palästina – Staat oder Statist im Nahen Osten?
Nach jahrzehntelangem Ringen um Anerkennung wollen die Palästinenser jetzt ihre Vollmitgliedschaft in der UNO
Der Antrag, den Palästinenserpräsident Mahmud Abbas am gestrigen Abend anschließend auch in seiner Rede vor dem Plenum der Vereinten Nationen stellte, markiert den vorläufigen Höhepunkt eines bereits über sechs Jahrzehnte langen Kampfes um nationale Eigenständigkeit der Palästinenser. Und er hätte selbst bei einer Zustimmung noch einen weiten Weg vor sich. Doch die von Abbas und seiner Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) auf den Weg gebrachte Abstimmung setzt eine Wegmarke im Streit um eine Lösung des Nahostkonflikts.
In New York erklärte Abbas, Ziel des palästinensischen Volkes sei ein eigener Staat mit dem Westjordanland und dem Gaza-Streifen und mit Ostjerusalem als Hauptstadt. Die PLO und das palästinensische Volk hielten an einem Gewaltverzicht fest und verurteilten Terrorismus in jeder Form. Die Palästinenser, so Abbas, sehen Verhandlungen als wichtigstes Mittel, den Konflikt beizulegen. »Hier erkläre ich, dass die PLO bereit ist, umgehend an den Verhandlungstisch zurückzukehren, auf der Basis der internationalen Abkommen und beim völligen Stopp der (israelischen) Siedlungen.«
In der Generalversammlung kann Abbas mit klarer Zustimmung rechnen. Da bereits mehr als 120 Mitgliedstaaten in New York ein deutliches Ja signalisiert hatten, würde Palästina ohne Mühe 194. UNO-Mitglied werden. Im Sicherheitsrat jedoch werden die USA ihr Veto einlegen. Daran hatte Präsident Barack Obama am Donnerstag keinen Zweifel gelassen.
Keine der beteiligten Seiten bestreitet allerdings, dass hinter den Kulissen wohl noch nie so intensiv um einen Ausweg gerungen wurde wie dieses Mal. Zwar sagt Obama, ungeachtet vergangener anderer Erklärungen zum Nahostkonflikt, dass er, sollte es zum Schwure kommen, Israels Position unterstützt.
Diese aber, das wollte Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu gestern Abend im Anschluss an die Rede von Abbas unmissverständlich klarmachen, lautet: zuerst israelisch-palästinensische Verständigung über alle wichtigen Fragen und dann UNO-Abstimmung über das erzielte Ergebnis, was immer das auch sei – ein Staat, ein autonomes Gebilde, ein von Israel militärisch kontrollierter territorialer Flickenteppich.
Nach den Erklärungen von Israels Außenminister Avigdor Lieberman vom Mittwoch präferiert er Letzteres. Auch deshalb ist die stereotype Forderung des Westens an die Palästinenser, doch weiterzuverhandeln, reichlich verlogen. Netanjahu hat vor seiner gestrigen Rede unterstrichen, weder über den vollständigen Rückzug noch über die Rückkehr von Flüchtlingen reden zu wollen. Außerdem reklamierte er erneut ein Recht auf »verteidigungsfähige Grenzen« – ein Kriterium, das bei Akzeptanz durch die Völkergemeinschaft Krieg überall in der Welt am Fließband produzieren könnte.
Doch eine Übernahme des israelischen Standpunktes birgt für die USA große Unwägbarkeiten. In lange nicht gekannter Deutlichkeit haben sich die Mitglieder der Arabischen Liga dafür ausgesprochen, den Abbas-Antrag zu unterstützen. Der ägyptische Außenminister Mohammed Amr warnte die USA noch gestern davor, im UN-Sicherheitsrat ihr Veto gegen den palästinensischen Antrag auf Vollmitgliedschaft einzulegen. Dies, erklärte er gegenüber BBC, »wird die Gefühle in den Straßen aufheizen, nicht nur in Ramallah (im Westjordanland), sondern auch in der weiteren arabischen Welt«.
Der Ausweg liegt nun vermutlich in einem Formelkompromiss. Mit fast nichts wie bisher wird der Westen die Araber aber diesmal kaum abspeisen können.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.