Ziellose Debatten auf dem Plüschsofa

THEATER II: Henrik Ibsens »Rosmersholm« an der Berliner Volksbühne

  • Christoph Funke
  • Lesedauer: 4 Min.

Das Wohnzimmer ist riesig, Blumen überall, gediegenes Mobiliar, Kamin. Eine üppige bürgerliche Wohlstands-Landschaft mit alles beherrschendem Plüschsofa baute Uli Hanisch für Leander Haußmanns Inszenierung von Henrik Ibsens Schauspiel »Rosmersholm« auf das langgestreckte Gelände vor dem Hauptvorhang der Berliner Volksbühne. Aller Prunk aber zeigt an: Glück, Geborgenheit gibt es hier nicht, nur Zwang und Verlogenheit.

Der Riesenraum, versagend als idyllisches Refugium, ist auch nach außen nicht abzusichern. Oft sitzen schon Personen herum, die noch gar nicht gebraucht werden, man kommt, geht in fast gespenstischer Beliebigkeit. Und das hat Gründe. Auf dem norwegischen Herrensitz gibt es kein freies, selbstbestimmtes Leben; Lachen und Fröhlichkeit sind erstorben, die Herrin des Hauses stürzte sich in den Tod. Sie wird den Gatten Johannes Rosmer und Rebecca, die neue Frau an seiner Seite, Gefährtin, Freundin, vielleicht auch Geliebte, ebenfalls in den Abgrund reißen.

Leander Haußmann, nach längerer Zeit zum Theater zurückgekehrt, arbeitet sich schwer an den seltsam belasteten Figuren des 1887 in Bergen uraufgeführten Schauspiels ab. Das Ineinander von (scheinbaren und wirklichen) moralischen Verfehlungen und scharfen politischen Konflikten weiß er nicht zu bündeln. Nun sind die kindisch naiven Aufbrüche des Johannes Rosmer und seiner Gefährtin Rebecca, die »Adelsmenschen« heranzüchten wollen, heute kaum einsichtig zu machen. Auch der dumpf reaktionäre Furor des sittenstrengen Rektors Kroll, der keinen Gedanken außerhalb abgestandener Normen zulassen will, hat etwas Gestriges, gründet er sich doch auf ermüdende Debatten über zweifelhafte Herkunft und unreines erotisches Verhalten. Da braucht es einen entschlossenen Zugriff auf die langweilenden Redegefechte, um sie in ihrer Hohlheit demaskieren zu können.

In der Aufführung bleibt das alles, besonders in den ersten beiden Akten, müde und unsicher. Haußmann will Ibsens Figuren (in den phantasiegesättigten, der Entstehungszeit streng zugeordneten Kostümen von Doris Haußmann) nicht preisgeben, er folgt getreulich dem Text. Aber er scheut sich vor den Abgründen ihres Daseins, vor schreiender Komik genauso wie vor düsterer Tragik. Ein paar ironische Lichter, zerschellendes Porzellan, einige wilde körperliche Entgleisungen genügen nicht.

Nach der Pause wird das Geschehen, mit Blitz und Donner, in eine gleichsam gewittrige Schwüle gebannt, und es kommt eher vom Fleck. Die hinter dem Wohnraum nach oben ins Nichts führende, mehrfach geknickte Treppe auf der Drehbühne, zunächst nur eine Art Andeutung für das Herauf und Herab des Hausherrn Rosmer, erweist sich jetzt als Bedrohung. Verwüstung bricht ins Wohlgestaltete ein, Rebecca wird von konvulsivischen Zuckungen gepackt, der ehemalige Lehrer Brendel reißt als Clown, als Derwisch, als verrückt tanzender, wüst anklagender Landstreicher alle Bravheit nieder. Noch immer aber ist das Plüschsofa mit seiner geradezu magischen Anziehungskraft unaufgeregter, altväterischer Mittelpunkt des Geschehens. Hier beschließen Rosmer und Rebecca, gemeinsam in den Tod zu gehen. Langsam schreiten sie die Treppe hoch …

So viel Musik da Atmosphäre herstellen will, so unerwartet urkomische Einfälle es hin und wieder gibt, die Schwere, das Ungefähr bleiben. Es wird nicht deutlich, wo Haußmann mit der alten Geschichte hin will, und das macht es auch den Darstellern nicht leicht. Peter Lohmeyer erfasst den ehemaligen Pfarrer und unsicheren Aufrührer Johannes Rosmer zwar erschreckend genau in dem fast schon feigen, unterwürfigen Habitus des in die Enge getriebenen Intellektuellen. Die Ausstrahlung des besessenen Romantikers und Idealisten aber bleibt er schuldig. Da trumpft Ralf Dittrich als der gefährliche Populist und Reaktionär Kroll kräftig auf, die Verstörung über bittere persönliche Niederlagen hält er versteckt. Annika Kuhl als Rebecca West spielt von Anfang an das Verhängnis mit, das die junge Frau zu tragen hat, unter eiserner Disziplin und studiertem Liebreiz bricht immer wieder das Entsetzen aus, in wilden körperlichen Verkrampfungen. Uwe Dag Berlin macht den sozial abgestürzten Lehrer zum entfesselten Bürgerschreck, wirkungsvoll, aber leer. Margit Carstensen allerdings treibt die kleine Rolle der Haushälterin Madam Helseth in unerwartete Höhen. Leise, huschend, majestätisch durchschreitet sie das Haus, sorgsam und unparteiisch beobachtend, eine alte Dame mit dem Wissen um die letzten Dinge des Lebens. Ihre Schlichtheit, Würde nehmen gefangen.

Nach dreieinhalb langen Stunden bleibt eine bange Frage: Ist »Rosmersholm« so in die Jahre gekommen, das es gleichgültig lässt? Leander Haußmann schreckt offensichtlich vor der Antwort zurück.

Nächste Vorstellung: 7.10.

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