Die wollen nur spielen
Doppler, Twister, Happy Big Wheel – in Generationenparks halten sich immer mehr Senioren an bunten Sportgeräten spielerisch fit
Wer rastet, der rostet. Wie keine Generation zuvor leben die heutigen Senioren nach diesem Sinnspruch. Fit sein bis ins hohe Alter, lautet die Devise. Passend zum demografischen Wandel schießen »Seniorenspielplätze« überall wie Pilze aus dem Boden. Über den passenden Namen der Fitness-Treffpunkte herrscht noch keine Einigkeit, wohl aber über deren gesundheitlichen Nutzen.
»Immer schön in Bewegung bleiben«, lautet das Motto von Gerda Meyerhoff (73). Die Rentnerin lebt in der Nähe des Hamburger Stadtparks, in dem sie gerne spazieren geht. Doch das ist der rüstigen alten Dame auf Dauer zu langweilig: »Deshalb bin ich froh über dieses sportliche Angebot nur einen Steinwurf von meiner Haustür entfernt.«
Inspiration aus China
Während sie spricht, hält sie sich mit beiden Händen an einer Querstange fest und setzt schwingend einen Fuß vor den anderen. Dabei kommt sie nicht einen Zentimeter von der Stelle. Der Grund: Sie »walkt« am Beintrainer, einem Outdoor-Trainingsgerät, das neben anderen am Hainbuchenweg in Hamburg-Winterhude zwischen Häuserreihen auf einem »Seniorenspielplatz« steht. Aus der Puste kommt die Rentnerin nicht. Denn sie allein bestimmt das Tempo. »Das Tolle ist: Ich mache Sport und kann mich dabei unterhalten.«
Der Clou des Fitnessgeräts aus Edelstahl ist, dass es sich um einen »Doppler« handelt, an dem man »um die Wette laufen« kann, ohne dass es einen Sieger gibt. So kommt man schnell mit anderen ins Gespräch und trainiert dabei Gleichgewicht, Ausdauer und Koordinationsvermögen. Die Beinmuskulatur wird gekräftigt, die Beweglichkeit gefördert.
Die Umwelt-Ingenieurin Renate Zeumer, Chefin des Hamburger Unternehmens playfit, hat die Geräte erdacht. Sie heißen »Jump and Reach«, »Happy Big Wheel«, »Massage Rub Machine« oder »Twister« und stehen an mehr als 300 Standorten in Deutschland. Dazu kommen die Konkurrenzprodukte anderer Firmen.
Premiere hatten die Seniorenparcours 1999 im niedersächsischen Schöningen. Auch in Italien, Österreich, Spanien, Portugal und der Schweiz liegen die Anlagen im Trend. Die Akzeptanz ist ähnlich hoch wie hierzulande, weil der demografische Wandel auch dort aktuell ist. Besonders in Spanien und Portugal floriert der Bau von Bewegungsgärten. »Viele unserer Kunden kennen diese Geräte aus dem Urlaub auf der iberischen Halbinsel«, sagt playfit-Mitarbeiterin Petra Bents, »deshalb sind insbesondere die Seebäder an den Küsten Schleswig-Holsteins prädestiniert dafür, ihren Gästen diese Art von Freizeitangebot zu machen.«
In Deutschland und der Schweiz ist playfit Marktführer. Chefin Renate Zeumer, eine sportliche 52-Jährige mit weißem Haar und jugendlichem Elan, hatte sich vor acht Jahren während eines China-Urlaubs inspirieren lassen, als sie mit einer Freundin zusammen in Beijing älteren Frauen auf ähnlichen Geräten beim Turnen zuschaute: »Ich wollte fotografieren, doch die Damen forderten uns auf, stattdessen lieber mitzumachen.« Neugierig probierten die beiden Europäerinnen die Geräte aus. Sie spürten schnell, dass die Bewegungsabläufe ihnen gefielen und gut taten. »Ich fühlte mich frischer und beweglicher, insbesondere was meinen Rücken betraf«, erzählt die gebürtige Kielerin. »Neben der Stärkung von Kreislauf und Beweglichkeit geht es hier um die Massage und die Förderung der Körperbalance. Außerdem hatten wir mit den alten Damen viel Spaß.« Sie sei erstaunt gewesen, wie sie ohne eine gemeinsame Sprache so unkompliziert miteinander in Kontakt gekommen seien – nur über die gemeinsame Nutzung der Geräte. Zeumer war begeistert und dachte: »Das brauchen wir in Deutschland!«
Ein sanfter Bewegungsanreiz
In China gehören die Geräte seit zwei Jahrzehnten zur Alltagskultur. Dort wollte man in den Städten die traditionellen asiatischen Bewegungsformen wie die meist von älteren Menschen morgens im Park praktizierten Qi-Gong-Übungen mit neuen Ideen fördern. Um auch jüngere Menschen zur Bewegung an der frischen Luft zu motivieren, wählte man diese traditionellen Bewegungsabläufe als Grundlage für die Entwicklung der überall im öffentlichen Raum aufgestellten Geräte. Im Vordergrund stand bei der Umsetzung der Idee nicht Leistungssteigerung durch hartes Training, sondern ein sanfter Bewegungsanreiz mit hohem Aufforderungscharakter. Ziel war es, Plätze zu schaffen, an denen sich Menschen gerne aufhalten und gleichzeitig etwas Gutes für sich tun.
Heute stehen mehrere tausend Geräte überall in Deutschland auf »Seniorenparcours«, »Seniorenspielplätzen«, »Mehrgenerationenspielplätzen« oder »Generationenparks«. Im Streit darüber, wie die Orte für das »Outdoortraining« richtig heißen, ist ein babylonisches Sprachgewirr ausgebrochen. »Es wirkt, als hätte jemand ein Fitness-Studio ausgeräumt und die Sachen im Wald versteckt«, spottete das Magazin »Spiegel« im Jahr 2007 über den neuen Trend. In der verhaltenen Kritik steckt ein wahrer Kern. Denn viele fühlen sich an die Trimm-dich-Bewegung erinnert, die in den 1970er Jahren durch die damalige Bundesrepublik schwappte. Damals brachte das Maskottchen Trimmy die durch Wirtschaftswunder und Fresswelle dick gewordenen Deutschen in Turnhose und mit hochgestrecktem Daumen wieder in Schwung. Es entstanden Trimm-dich-Pfade in Wäldern oder Stadtparks, auf denen Geräte aus Holz zu sportlichen Übungen einluden.
Sponsoring von lokalen Unternehmen
Die neuen Geräte sind aus Metall und stehen auf Spielplätzen, in Seniorenwohnanlagen, an Uferwanderwegen oder mitten in der Stadt auf überschaubaren Flächen. Schnauften Trimmys Jünger noch im Trainingsanzug und Sportschuhen nach festen Vorgaben durch Wald und Wiesen, kann man die heutigen Geräte nach Lust und Laune in jeder Art von Kleidung nutzen. Eine spezielle Vorbereitung ist nicht nötig. Da die Geräte oft nicht weit von der Wohnung entfernt stehen, kann die Nutzung einfach in den ganz normalen Tagesablauf integriert werden – sozusagen »im Vorbeigehen«.
Viele Bürgermeister sind von der neuen Trimm-Welle begeistert. Im Sommer 2009 stellte das niedersächsische Stade mehrere Geräte aus Edelstahl und strahlend leuchtendem roten Kunststoff auf dem Gelände des Veranstaltungszentrums Stadeum auf. Ein Großteil der Kosten deckten lokale Unternehmen, die den »Generationen-Spielplatz« mit Summen zwischen 2500 und 3500 Euro sponserten. »Ohne diese Hilfe wäre die Errichtung des Platzes nicht möglich gewesen«, sagt Stades Stadtrat Dirk Kraska. Rund 25 000 Euro kostet ein Seniorenspielplatz. Gut angelegtes Geld, meint Petra Krötzsch, Geschäftsführerin des Berliner Vereins Lebensherbst, die von dem »Tummelplatz« total begeistert ist. Zur Einweihung des Orts für »Kommunikation und Körperertüchtigung« am Lietzensee schaute sogar die damalige Familienministerin Ursula von der Leyen vorbei und erklärte: »Diesen Plätzen gehört die Zukunft.« Den TÜV-geprüften Geräten sowieso. Sie sind aus Edelstahl und rosten nicht.
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