Das Geschäft mit Schmerz und Tod

Marlene Streeruwitz porträtiert eine Frau, die foltern soll

  • Uwe Stolzmann
  • Lesedauer: 4 Min.
Diese Frau ist eine Kämpferin. Schreiben ist Kampf, Reden ist Kampf, Leben ist Kampf. Man kennt sie fast nur in der Rolle der Empörerin, Doña Quijote im Kampf gegen die dunklen Ritter des Patriarchats. »Mach Aufruhr«, so verlangte sie kürzlich in einer »Theorie der Romane«. »Vergiß Provokation und Revolution. Mach Aufruhr. Es wird dich niemand hören. Es wird dich kaum jemand lesen. Halt das aus.«
Wäre sie keine Rebellin, würden wir sie trotzdem kennen: Marlene Streeruwitz, 1950 bei Wien geboren, in Wien und Berlin lebend, Dramatikerin, als Erzählerin spät berufen. Seit Mitte der Neunziger hat sie in rascher Folge Prosabücher publiziert, in denen sie ihr Doppelthema beharrlich umkreist – die gefühlte Opferrolle der Frau in der Gesellschaft sowie die Kluft zwischen weiblichem Selbst- und Fremdbild. Zwei Sammelbände benennen den vermuteten Grundkonflikt: »Sein. Und Schein. Und Erscheinen.« sowie »Können. Mögen. Dürfen. Sollen. Wollen. Müssen. Lassen.« (1997/98). Streeruwitz hat eine eigene, eine einzigartige Stimme. Nur leider: Mit ihrem Drang nach Originalität und ihrer Mission steht sich die Erzählerin bisweilen selbst im Weg. Das spürt man auch hier.

Die Protagonistin – Amy Schreiber, 24 – stammt aus komplizierten Verhältnissen; ein Vorfahre war ein berühmter Wiener Künstler, eine Großmutter Jüdin, ein Großvater Nazi, die Mutter drogensüchtig; das Kind lebte bei Pflegeeltern. »Immer war sie die Schmutzige gewesen. Mit einem ungenauen Leben.« Amy ist die ewig Unfertige, das Gegenteil einer Kämpferin, eine, die nie weiß, wo es langgeht, also nie ankommt. Sie trinkt. Wodka. Eine Londoner Tante verschafft ihr einen Ausbildungsplatz: Training in einer Sicherheitsfirma, einer jener Firmen, die an Krisen, Kriegen, an Schmerz und Tod so trefflich verdienen. Amys Team – darunter einige Stasileute – trainiert an der Grenze zwischen Bayern und Tschechien, die Zentrale sitzt in London.

Amy lernt, wie man verhört und foltert, eine künftige Schmerzmacherin, sie will früh gut sein und begreift spät: Gut hieße, richtig böse zu werden. Sie erlebt und erfährt seltsame Dinge, sie fühlt Bedrohung, Bedrängnis, Beklemmung. Besitzt die Tante Anteile der dubiosen Firma? Würde sie am Ende gar verdienen, wenn ihr, Amy, bei einem Einsatz etwas zustieße? Warum verschwinden Bekannte? Warum fehlt ein Tag in Amys Gedächtnis?

Dies ist ein eigentümliches Buch, halb Thriller, halb Pamphlet, und aufklären will es auch. Drei Jahre Vorarbeit stecken im Plot, die Verfasserin hat »dieschmerzmacherinrecherche« auf ihrer Website (www.marlenestreeruwitz.at) dokumentiert. Tagelang könnte man sich in die Linkliste vertiefen; gruselige Lektüre. »Das glaubt frau nicht«, sagte die Autorin im ORF, »was es da an Publikationen gibt, an Vereinigungen«. Man lese »›der detektiv‹ Fachzeitschrift f. d. Sicherheitsgewerbe«, man schaue auf die »Weltkarte der Folter«, man gehe durch die Portale der globalen Dienstleister oder die der lokalen Anbieter (»Jobs Personenschutz Berlin«) – irgendwann lernt man das Fürchten, garantiert.

»Noch nie waren so viele Raubvögel zu sehen gewesen.« So lautet der erste Satz des Romans; die feine Metaphorik erschließt sich erst nach und nach. Amy ist am Ende zu wenig Raubvogel, zu weich für den Job, zu lieb und zu unschuldig für ihre Rolle im Buch. Der Horror der Heldin überträgt sich auf den Stil des Romans: Streeruwitz malträtiert die Sprache (so wie sie es häufig tut), sie zerhackt Sätze und Wendungen, sie fügt die Bruchstücke zu etwas überraschend Neuem. »Vorhin. Beim Schuppen. Da hatte sie die Kälte noch gespürt. Jetzt war nichts mehr da. Watte. Ihre Finger waren Watte. Von der Hüfte hinunter. Watte. Im Kopf. Watte. Weiße.« Auf kurzer Strecke sorgt die Knappheit für Tempo. Doch über die Langstrecke eines Romans verursacht das Hecheln und Stammeln bisweilen Schwindel, vielleicht gar leichte Übelkeit.

»Die Splitter der Freiheit haben scharfe Ränder und werden als Waffen benutzt. Mach dich schutzlos«, verlangt Streeruwitz in ihrer »Theorie der Romane«. Mit diesem Roman provoziert sie durch Inhalt und Form. »Alles andere als Aufruhr ist Kapitulation. Und wer wollte Unterhaltung geschrieben gewollt haben wollen.«

Marlene Streeruwitz: Die Schmerzmacherin. S. Fischer. 399 S., geb., 19,95 €.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.