Journalist jahrelang bespitzelt
Göttinger Hörfunk-Redakteur wurde vom Verfassungsschutz systematisch ausgespäht
Ein Göttinger Journalist steht offenbar seit vielen Jahren im Visier von Polizei und Verfassungsschutz. Auf ein Auskunftsersuchen präsentierte Niedersachsens Verfassungsschutzbehörde dem Anwalt des Hörfunk-Mannes jetzt einen Teil ihrer gesammelten Erkenntnisse. Dazu zählt auch das Beschäftigungsverhältnis des Journalisten - der 43-Jährige ist fest angestellter Redakteur des Göttinger Lokalradios.
»Nach Erkenntnissen der Polizei vom 10. 07. 2000 war Ihr Mandant Mitarbeiter des Göttinger Radiosenders ?Stadtradio?«, heißt es in dem mit Briefkopf des Niedersächsischen Innenministeriums versehenen Antwortschreiben. An anderer Stelle schreibt der Verfassungsschutz: »Am 19. März 2011 war Ihr Mandant, aufgrund der Ereignisse in Japan, Teilnehmer einer Anti-Atom-Demonstration in Göttingen.« Die Anwesenheit bei zwei weiteren Demonstrationen - als Journalist, wie der Betroffene betont - hat der Verfassungsschutz ebenfalls registriert und in der Personalakte des Mannes vermerkt.
Polizei lieferte Anlass
Im Februar dieses Jahres begleitete der Redakteur einen Neonazi-Aufmarsch in Dresden und beobachtete die Proteste dagegen. Die sächsische Polizei erfasste damals im Rahmen von Ermittlungen gegen Nazigegner bei Funkzellen-Abfragen die Daten von hunderttausenden Mobilfunkgesprächen. Dieses Vorgehen nahm der Göttinger Journalist zum Anlass für ein Auskunftsersuchen in eigener Sache bei verschiedenen Polizeidienststellen und beim Verfassungsschutz.
Für Rechtsanwalt Sven Adam, der den Journalisten vertritt, sind die Einträge des Geheimdienstes ein »alarmierendes Signal«. Der Verfassungsschutz mache aus der journalistischen Begleitung »eine offenbar staatsgefährdende Teilnahme an legalen und angemeldeten Demonstrationen«. Dies führe dazu, »dass die angeblichen Erkenntnisse über meinen Mandanten jedes Mal erweitert werden, wenn er seiner beruflichen Pflicht nachgeht und über Demonstrationen berichtet«.
Die als »Erkenntnisse der Polizei« präsentierte Beschäftigung des Mannes bei dem Lokalradio zeuge von einem »zweifelhaften Verständnis« auch der Polizei vom Journalistenberuf, so Adam. Immerhin »hat sie die Einträge offensichtlich zu verantworten.« Der »schützenswerte Beruf«, als den der Bundestag den Journalismus vor rund 30 Jahren eingestuft hatte, sei bei der Polizei »offenbar ein Fremdwort«.
Auch die Gewerkschaft ver.di ist empört über die »Bespitzelung« ihres Mitglieds durch Polizei und Verfassungsschutz. »Die Beschäftigung unseres Kollegen beim Lokalradio als polizeiliche Erkenntnis zu präsentieren ist ein ungeheuerlicher Vorgang«, sagt Gewerkschaftssekretär Patrick von Brandt. Dass die Ausübung seines Berufs für den Kollegen zu ständig erweiterten Einträgen in einer Verfassungsschutzakte führe, »weckt ungute Erinnerungen an längst vergangene Zeiten«. Gewerkschaftssekretär Brandt: »Solch eine Überwachung eines Journalisten bei der Arbeit bedroht die Pressefreiheit und ist absolut inakzeptabel.«
Rechtsanwalt Adam kritisiert zudem die unvollständige Antwort des Verfassungsschutzes, in der die Behörde eine weitere Einsicht in die personenbezogenen Daten seines Mandanten verweigere. Aus diesem Grund hat der Jurist jetzt auch den Niedersächsischen Landesbeauftragten für den Datenschutz und das Göttinger Verwaltungsgericht in den Fall eingeschaltet.
Klage angekündigt
»Mit einer Verpflichtungsklage habe ich zusätzlich rechtliche Schritte eingeleitet, damit mein Mandant endlich erfährt, welche angeblichen Erkenntnisse der Verfassungsschutz noch für ihn bereit hält«, so Adam. Außerdem müsse sich die Geheimdienstbehörde für die mehr als 14-jährige Überwachung des Journalisten vor Gericht verantworten.
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