Bücherland trotz Krise?
Kristján B. Jónasson über den isländischen Buchmarkt
ND: Was bedeutet der Auftritt Ihres Landes als Ehrengast der Frankfurter Buchmesse?
Jónasson : Gerade für viele unserer unbekannteren Autoren ist es eine Chance, Interesse zu wecken, damit ihre Bücher ins Deutsche übersetzt werden. Historisch betrachtet, ist das schon ein Ritterschlag für unsere Schriftsteller, die auch durch die kleine isländische Sprache isoliert sind. Der Austausch ist für ihre geistige Weiterentwicklung und Orientierung sehr wichtig - neben dem ökonomischen Aspekt. Mit 320 000 Einwohnern haben wir einen sehr kleinen Buchmarkt. Auch wenn wir Isländer alle sehr fleißig lesen, reicht das zum Überleben bestenfalls für die bekanntesten Autoren.
Die Auslandsmärkte, vor allem Frankreich und die USA, öffnen sich zunehmend für nordische Krimis, die Briten interessanterweise weniger.
Aber Deutschland ist mit Abstand der größte und für skandinavische Literatur durchlässigste Übersetzungsmarkt der Welt, weit über Krimis hinaus.
Gibt es einen Boom für isländische Literatur in Deutschland?
Als ich in den 80ern in Tübingen und Bonn studierte, war es in Buchläden fast unmöglich, überhaupt isländische Titel zu finden. Es gab nur ein, zwei winzige Verlage, die diesbezüglich ganz selten etwas herausbrachten. Das hat sich sehr und in extrem kurzer Zeit geändert. In den letzten Jahren kamen jährlich an die 20 Titel aus Island im deutschsprachigen Raum heraus. Unser Verband vertritt inzwischen 40 Buchverlage.
Hat Ihr Buchmarkt unter der Krise gelitten?
Überraschenderweise hat die Krise das Buchgeschäft auf Island begünstigt. Unser durchschnittlicher jährlicher Branchenumsatz von etwa 35 Millionen Euro ist in den Boomjahren von 2006 bis 2008 um durchschnittlich 27 Prozent gestiegen. Der Rückgang in den Jahren danach war dagegen nur schmal, rund 3,5 Prozent. Bei anderen Dingen wie Schuhen oder Elektroartikeln ist der Umsatz teils bis zu 90 Prozent eingebrochen. »Nummer Eins« unter den Büchern 2010 war lange der 3000-seitige Untersuchungsbericht zur Entstehung der Krise. Acht Bände. Eigentlich sehr gut geschrieben, trotz Statistik, fast wie ein Krimi. Aber der wurde freilich ohne Gewinnmarge verkauft.
Wurde die staatliche Förderung für Schriftsteller wegen der Krise gekürzt?
Nein, glücklicherweise kaum. Wir haben auch deshalb noch sehr viele Autoren. Ohne die staatliche Förderung - ein volles Gehalt von drei Monaten bis zu drei Jahren für talentierte Autoren - würde es wohl viel weniger geben. Wahrscheinlich hat die starke literarische Tradition Politiker daran gehindert, genau dort einzusparen. Wir waren schließlich eine der wenigen Branchen, die wuchsen.
Hat die Wirtschaftskrise die Themen Ihrer Autoren geändert?
Das ist schwer zu sagen. Vielleicht ist die Krise noch zu nahe, in Deutschland gab es ja auch lange kein richtiges Buch zur Wiedervereinigung. Steinar Bragi ist einer, der den großen isländischen Umbruch zumindest aufgegriffen hat. Vielleicht begleitet die Literatur die Krise aber auch mit einer Rückbesinnung auf die noch viel bittereren Zeiten von früher.
Fragen: André Anwar
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.