Schlingern Richtung Europa
Mit der EU oder gegen sie? Die LINKE mogelt sich um eine klare Position herum
»Wir wollen eine andere, eine bessere EU!« So hieß es im Programmentwurf der LINKEN, den Oskar Lafontaine und Lothar Bisky im März 2010 der Öffentlichkeit vorstellten. Damals waren Lafontaine und Bisky noch Vorsitzende der Partei - und letzterer bereits Chef der Linksfraktion im Europaparlament. Der Entwurf trug die Handschrift des erklärten Europäers Bisky: »Die Europäische Union ist unverzichtbares politisches Handlungsfeld für die Sicherung des Friedens in Europa, für wirtschaftliche Entwicklung in Europa und die Bewältigung von Wirtschaftskrisen, für die Wahrung der Interessen der Beschäftigten, für den sozial-ökonomischen Umbau in Europa und für die Lösung der globalen Herausforderungen.« Die Botschaft war klar, eine Auflösung des Staatenbündnisses sollte für die LINKE nicht zur Debatte stehen. Die Forderungen, die im nun vorliegenden Programmentwurf für Erfurt gestellt werden, entsprechen auf den ersten Blick dieser Prämisse: Demokratisch, sozial, ökologisch und friedlich soll die Gemeinschaft sein. Ausgrenzung und Armut sollen beseitigt, Sozialstaatlichkeit, demokratische Bürgermitbestimmung und ökologischer Strukturwandel durchgesetzt, die Finanzmärkte streng kontrolliert, Kriege geächtet und die EU in ein strukturell nicht mehr angriffsfähiges Bündnis ohne Massenvernichtungswaffen umgewandelt werden, das weltweit auf militärische Einsätze verzichtet. Kurz: Ein »grundlegender Politikwechsel in der EU, der die europäische Integration im Interesse der großen Mehrheit der Menschen auf ein neues Fundament stellt«, ist das Ziel der LINKEN.
Auf welchem Wege dies erreicht werden soll, daran scheiden sich nach wie vor die Geister. Der Programmentwurf besagt zumindest, wie diese Vision nicht zu erreichen ist - mit dem EU-Vertrag von Lissabon. »Unsere Kritik richtete und richtet sich weiterhin vor allem gegen die in diesem Vertragstext enthaltenen Aussagen zur Militarisierung der EU-Sicherheits- und Verteidigungspolitik, gegen die Grundausrichtung der EU an den Maßstäben neoliberaler Politik, gegen den Verzicht auf eine Sozialstaatsklausel, gegen die angestrebte Art der verstärkten Zusammenarbeit der Polizei- und Sicherheitsdienste sowie gegen das weiter bestehende Demokratiedefizit in der EU und ihren Institutionen.« Mit einer solchen Vertragsgrundlage, so der Entwurf, sei der gewünschte Politikwechsel in Europa nicht zu machen.
Schon auf dem Europa-Parteitag im Februar 2009 in Essen, der unter anderem die EU-Abgeordneten wählte, hatte die Haltung zu »Lissabon« eine zentrale Rolle gespielt. Während mehrere Redner von den künftigen Parlamentariern das Bekenntnis verlangten, dieses Abkommen auch in der parlamentarischen Praxis abzulehnen, hatte die damalige Europa-Abgeordnete Sylvia-Yvonne Kaufmann darauf verwiesen, dass der Lissabon-Vertrag auch zur Arbeitsgrundlage der LINKEN im Europaparlament werden würde. Nicht zuletzt wegen dieser Position wurde Kaufmann in Essen nicht wieder aufgestellt. Praktisch würde jedoch die Schaffung neuer vertragsrechtlicher Grundlagen auf die Auflösung der bisherigen EU mit allen Folgen für die zwischenstaatlichen, europäischen und internationalen Beziehungen hinauslaufen. Darüber ist sich auch die LINKE im Klaren - und will dies nicht in dieser Deutlichkeit aussprechen. Die im Programmentwurf gefundene Formulierung, man wolle einen »Neustart« der EU, lässt alle Optionen offen und versöhnt Gegner der heutigen EU mit jenen, die innerhalb dieses Rahmens für Veränderungen kämpfen wollen.
Denn letztlich steckt dieser Grundkonflikt hinter der Debatte um »Lissabon«. »Mitregieren« auch auf europäischer Ebene oder konsequente Ablehnung des »Systems EU«. Einen »Showdown« hatten viele in dieser Frage dem Essener Parteitag vorausgesagt. Gekommen ist es dazu nicht. Vielleicht ist er nur aufgeschoben.
In der nd-Serie bereits erschienen: Streit um den Arbeitsbegriff, Öffentlicher Beschäftigungssektor, Auslandseinsätze der Bundeswehr. Online unter www.nd-aktuell.de/wohindeswegs
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