"Der totale Selbstläufer"

Die Protestcamper vor der Europäischen Zentralbank richten sich immer besser ein. Sie wollen noch Wochen bleiben.

  • Sonja Erkens, Frankfurt am Main
  • Lesedauer: 3 Min.
Für zwei Wochen ist das Protest-Camp vor der Europäischen Zentralbank in Frankfurt am Main bislang genehmigt - ein Ende ist aber noch lange nicht in Sicht. Denn schnell wollen die Demonstranten nicht aufgeben.

Das überdimensionale Eurozeichen auf dem Frankfurter Willy-Brandt-Platz tut ganz so, als bekäme es von alldem nichts mit: Je dunkler der Abend vor der Europäischen Zentralbank (EZB) hereinbricht, desto heller strahlt es. Für die meisten Menschen, die sich an diesem Montagabend auf der Parkanlage in Frankfurts Stadtmitte versammelt haben, ist die blaugelbe Skulptur jedoch eher Krisensymbol und Sinnbild verquerer Finanzpolitik. Am vergangenen Samstag hatte das Occupy-Bündnis, das in zahlreichen deutschen Städten zum Aktionstag gegen die Macht der Banken aufgerufen hatte, auch in der Mainmetropole mobilisiert, woraufhin etwa 5000 Menschen demonstrierend vor die EZB gezogen waren. Seitdem ist der kleine Park zum Protestcamp geworden, inklusive Vokü-Zelt, »Pace«-Bannern, Plenarplatz und Dixie-Klos.

Rund 40 Zelte seien es anfangs gewesen, erzählt Costantino Gianfrancesco aus dem Organisationsteam von Occupy Frankfurt: »Momentan campen hier um die hundert Menschen, Tendenz steigend.« Die Infrastruktur auf dem Gelände sei hervorragend, so gebe es seit Montag auf dem Gelände Wlan, außerdem nehme das gegenüberliegende Schauspiel Frankfurt Sachspenden entgegen. In dessen Foyer dürfen sich die Protestcamper auch schon mal aufwärmen, außerdem stellt der DGB-Jugendclub ein paar Straßen weiter seine Räume zur Verfügung.

Gianfrancesco ist begeistert: Die Aktion sei der »totale Selbstläufer«. »Mittlerweile bekommen wir Anfragen von Eltern, die mit ihren Kindern hier zelten wollen, und von Leuten, die in ihrem Leben noch nie auf einer Demo waren«, erklärt er. Jede und jeder ist willkommen, die oder der sich mit den grundlegenden Zielen von Occupy Frankfurt anfreunden kann, also laut Flugblatt politische Selbstbestimmung und Emanzipation, direkte Demokratie und »keine Finanzierung der Banken- und Finanzwelt mit Steuergeld«.

Wie breit die Spanne der möglichen Lesarten ist, bezeugen zahlreiche Mini-Transparente, die an einer Wäscheleine über das Campgelände gespannt sind und so diverse bis diffuse Schlussfolgerungen enthalten wie »Hört auf mit der Gier!«, »Für eine geldfreie Welt!« sowie »Zurück zur D-Mark!«. Für die mangelnde Distanzierung von »Spinnern aus dem rechten Lager« habe es scharfe Kritik von Linken gegeben, erzählt Gianfrancesco: »Darum beteiligen sich die autonomen Gruppen gar nicht am Protestcamp.« Seinem Verständnis nach sei das Occupy-Bündnis aber basisdemokratisch: »Wir stellen eine offene Diskussionsplattform zur Verfügung und geben nicht die inhaltliche Linie vor.«

Die Linksradikalen und Intellektuellen vermisst Fassil dann aber schon: »Von denen könnten wir noch einiges lernen«, findet der Frankfurter, der seinen Nachnamen ungern in der Zeitung lesen möchte. Mit seiner Kollegin Susanne ist er nach der Arbeit am Flughafen zum Protestcamp gekommen, um bei Dosenbier und zusatzfreien Zigaretten über Kapitalismuskritik zu debattieren: »Das Problem liegt ja am System an sich«, findet Susanne, die, noch in Businesskleidung, dann doch ein wenig aus dem Gros der Anwesenden heraussticht. »Es ist zwar leicht, den Bankern Profitgier vorzuwerfen, aber so sind eben die Regeln des Kapitalismus: Wenn ich überall parken dürfte, würde ich das ja auch tun.«

In diesem Sinn hält auch Wolfram Siener die Reaktionen der Politiker auf die Proteste für »Heuchelei«, etwa hehre Versprechen hinsichtlich eines Schuldenschnittes: »Die Politik kann nicht die Märkte und Wirtschaft zähmen«, erklärt Siener beinahe beiläufig, während er twitternd, chattend und bloggend auf der mittlerweile klammen Wiese sitzt, dabei gleichzeitig Eintopf isst und Pressefragen beantwortet. Der 20-Jährige, der in den vergangenen Tagen zum Sprecher der Frankfurter Proteste geworden ist, gibt sich bei aller Vehemenz stets kooperativ: Wenn am heutigen Mittwoch der EZB-Präsident Jean-Claude Trichet verabschiedet wird und das Gelände um die Zentralbank großräumig abgesperrt wird, wollen die Protestcamper zeitweilig weichen - »wenn der Festakt rum ist, kommen wir aber sofort zurück!«, kündigt Siener an. Erstmal soll aber die Polizei nicht verärgert werden, schließlich steht kommenden Samstag ein weiterer Protestzug zur Deutschen Bank an: »Und dann wollen wir mal schauen, wie weit wir gehen.«

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