Nicht nur Brot und Milch

Genossenschafter wollen umfassendere Versorgung in Dörfern

  • Hendrik Lasch, Chemnitz
  • Lesedauer: 3 Min.
Genossenschafter möchten die Versorgung auf dem Lande verbessern. Doch die sächsische Staatsregierung zieht nicht mit.

Wenn Dietmar Berger über die schlechte Versorgung auf dem Land redet, kann er auf Erfahrungen von Verwandten verweisen, die in einem Dorf im Süden von Sachsen-Anhalt leben. Einst gab es dort für 160 Einwohner einen Konsum, eine Postfiliale, einen Dorftreff, und der Schulbus hielt regelmäßig. Das ist Geschichte; im Ort, der heute noch 65 Bewohner hat, trifft man sich nur noch in der Kirche. Der Pfarrer kommt allerdings auch von anderswo.

Als Präsident des Mitteldeutschen Genossenschaftsverbands (MGV) weiß Berger, dass dies kein Einzelfall ist: »Die Daseinsvorsorge ist im ländlichen Raum immer öfter nicht mehr gesichert.« Ob Einkaufsmöglichkeiten, medizinische Betreuung oder soziale Einrichtungen - vielerorts fehlt es am Nötigsten. Die Folgen sind absehbar, sagt Berger: »Die Dörfer werden unattraktiver, und ihre Bewohner ziehen weg.« Leidtragende dürften nicht zuletzt die Agrargenossenschaften sein: »Ihnen fehlen in Zukunft die Arbeitskräfte.«

Der MGV bemüht sich seit Jahren um Abhilfe. In Sachsen wurde mit dem damals SPD-geführten Wirtschaftsministerium ab 2005 ein Versuch unternommen, die Nahversorgung zu verbessern. Eine Studie hatte damals für 14 Prozent der Gemeinden »ausgeprägte Versorgungsdefizite« konstatiert. Die Genossenschafter setzten auf die Gründung von Läden, an denen sich die Einwohner beteiligten. Der erste derartige Bürgerkonsum wurde in Bad Schlema gegründet; ein zweiter in Falkenau nahe Chemnitz besteht seit zwei Jahren.

Allerdings sei man mit dem Versuch, nur die Einkaufsmöglichkeiten zu verbessern, »zu kurz gesprungen«, sagt Berger. »Die Leute brauchen nicht nur Brot und Milch.« Der Verband drängt auf einen umfassenderen Ansatz: Entwickelt und gefördert werden sollten Modelle, die auch ärztliche Betreuung, Postdienstleistungen oder Kinderbetreuung anbieten. Ob Genossenschaften dafür geeignet sind und welche anderen Formen sich anbieten, würde der Verband gern im Rahmen einer Studie untersuchen lassen. Bei der Landespolitik hält sich das Interesse allerdings in Grenzen. Als Hindernis hätten sich vor allem Ressort-Egoismen erwiesen, sagt Berger. Sein Vorschlag, das Thema umfassend zu bearbeiten, sei mit der Begründung abgewiesen worden, bestehende Förderrichtlinien gäben das nicht her. Also gebe es einzelne Projekte im Sozial-, Wirtschafts- oder Agrarministerium, aber kein Projekt, das sich dem gesamten Thema Daseinsvorsorge widmet. Womöglich gilt das als weniger chic als etwa Breitbandinternet auf dem Land. Das sei zweifellos wichtig, sagt Berger: »Aber Internet kann man nicht essen, und es massiert einen auch nicht.«

Berger ist überzeugt, dass Genossenschaften oder andere Modelle mit Bürgerbeteiligung auch in Sachsen geeignet wären, Versorgungsdefizite zu lindern. Aus zwei Gründen hofft er, dafür künftig offenere Ohren zu finden. Zum einen haben die Ost-Regierungschefs und die Kanzlerin zu Monatsbeginn ein Handlungskonzept mit dem Titel »Daseinsvorsorge im demografischen Wandel zukunftsfähig gestalten« beschlossen. Zudem ist 2012 das internationale »Jahr der Genossenschaften«. In Sachsen wird Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) die Schirmherrschaft übernehmen. Womöglich, sagt Berger, sei das eine Gelegenheit, auch über die Rolle der Genossenschaften bei der Versorgung auf dem Land nachzudenken.

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