- Kultur
- Politisches Buch
Radikaler Privatisierer und Liberalisierer
Tamar Amar-Dahl hat eine Biografie über Shimon Peres geschrieben
In Israel geboren und als Tochter jüdisch-religiöser, aus Marokko immigrierter Eltern aufgewachsen, studierte Tamar Amar-Dahl Geschichte und Philosophie in Tel Aviv. Seit 1996 lebt sie in Deutschland. Ihren israelischen Pass hat sie im Zuge des Libanonkrieges von 2006 abgegeben und ist seitdem deutsche Staatsangehörige. Seit 2009 unterrichtet sie an der Humboldt-Universität zu Berlin zur Geschichte des Zionismus und des Nahostkonfliktes.
Nun hat sie mit einer Peres-Biographie die Aufmerksamkeit namhafter Historiker auf sich gezogen. Hans Mommsen etwa findet in der »Frankfurter Rundschau«: »Der mutige Schritt von Tamar Amar-Dahl, eine kritische Biographie über Peres vorzulegen, bedarf der Anerkennung.« Bei allem Respekt vor den nationalen Verdiensten von Peres sei sie »zu einer äußerst kritischen Bewertung seines politischen Oeuvres« gelangt. Und Moshe Zuckermann urteilt, dass Amar-Dahls Analysen und Deutungen »das Schillernde und zugleich zutiefst Verwurzelte, das ›Fremde‹ und zugleich so Israelische an Peres aufs Beeindruckendste zu exemplifizieren vermögen.«
Tamar Amar-Dahl hat sich zuvor bereits mit Israels Gründungsjahren befasst, mit Moshe Sharett, dem ersten israelischen Außenminister und zweiten Ministerpräsidenten. »Schon damals fiel mir auf«, sagt sie im Gespräch mit dem Autor dieser Zeilen, »dass die kardinalen politischen Fragen, die das Land bis heute beschäftigen, in den formativen Jahren heftig diskutiert wurden. Vor allem die Frage, wie Israel sein Verhältnis zu den Nachbarstaaten respektive Völkern gestalten soll, damit es längerfristig im Orient existieren kann.«
Da Peres (Jg. 1923) nicht nur in den letzten Jahrzehnten politisch aktiv war, sondern seit 1945, wenn auch offiziell erst seit 1953, als er eine Schlüsselposition im zunehmend mächtigem Verteidigungsministerium einnahm, befand Tamar Amar-Dahl eine Analyse gerade seiner politischen Laufbahn als besonders relevant für ihr Erkenntnisziel.
Peres ist ein jüdischer Nationalist, so die Autorin. Sein Hauptanliegen war in erster Linie eine jüdische Nation in Erez Israel. Als Zionist verstand er die jüdische Einwanderung und Besiedlung dieses Landes und die Einleitung damit verbundener »Sicherheitsmaßnahmen« als Pflicht der israelischen Politik - ein Pflichtverständnis, der die Eskalation von Gewalt inharänt ist. Dass er 1994 zusammen Israels Premier Itzhak Rabin und PLO-Chef Yassir Arafat den Friedensnobelpreis bekam, verdankte sich seinem Beitrag zum ersten Oslo-Vertrag, in dem Israel die PLO als Vertreterin des palästinensischen Volkes anerkannte. Man hoffte auf einen endlich erfolgreichen Prozess, der zur der Errichtung eines palästinensischen Staates in der Westbank und im Gaza-Streifen führen würde.
Interessant ist die Peres-Biografie von Tamar Amar-Dahl jedoch gerade hinsichtlich der aktuellen sozialen Protest, die auch Israel ergriffen haben. Peres, Ehrenpräsident der Sozialistischen Internationale, »welche die Überwindung des kapitalistischen Systems zum Ziel hat«, hat Mitte der 80er Jahre als Regierungschef und zugleich Führer der Arbeiterpartei »eine radikale Privatisierungswelle und Liberalisierung des Marktes durchgesetzt - was nicht wirklich sozialistisch ist«, so die Autorin. Die Opposition der Gewerkschaften, vor allem der mächtigen Histadruth, eigentlich wichtigstes Organ der Arbeiterpartei, war groß.
Peres' Wirtschaftspolitik, die nur per Notstandgesetz durchgesetzt werden konnte, bewältigte zwar die sehr hohe Inflationsrate von circa 400 Prozent in Jahr 1984, »doch gleichzeitig legte er den Grundstein für die allmähliche Auflösung des bis dato recht progressiven israelischen Sozialstaates«, bemerkt Tamar Amar-Dahl. »Das, was die SPD unter Kanzler Gerhard Schröder Ende der 199er Jahre in Deutschland in die Wege geleitet hat, ist in Israel unter Peres' Arbeiterpartei schon Mitte der 1980er Jahre erfolgt. Ab dann beginnt in Israel ein Prozess, der sehr bald den Kapitalismus nicht nur salonfähig macht, sondern geradezu alternativlos.« Peres spielte dabei zunächst als Regierungschef (1984-1986) und später als Finanzminister (1988-1990) eine zentrale Rolle. »Die Überwindung des kapitalistischen Systems in Israel war für ihn nie ein politisches Ziel, trotz seiner langjährigen Stellung in der Sozialistischen Internationale«, sagt Tamar Amar-Dahl. Für die Biografin ist Israels Staatspräsident kein Sozialist.
Tamar Amar-Dahl: Shimon Peres - Friedenspolitiker und Nationalist. Schöningh Verlag, Paderborn 2011. 472 S., geb., 39,90 €.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.