Kein Einpersonenstück

Adolf Eichmann – Mittäter oder Motor des Massenmordes an den Juden?

  • Kurt Pätzold
  • Lesedauer: 4 Min.

Der 50. Jahrestag des Beginns des Prozesses gegen Adolf Eichmann hat ein Echo nicht nur in der Tagespresse gefunden. Die Publikationen über den Chef des sogenannten Judenreferats im Reichssicherheitshauptamt mit dem Sitz in der Berliner Kurfürstenstraße wurden um weitere vermehrt. Dabei ist seit 2000 jedes Jahr mindestens ein Buch erschienen oder wieder aufgelegt worden, das sich mit dem Massenmörder befasst. Geschrieben und veröffentlicht wurden sie in den USA, Israel, Großbritannien, Frankreich, Argentinien, Deutschland und Österreich.

Die Verfasser waren nicht immer Spezialisten der Geschichtswissenschaft, unter ihnen befanden sich auch Autoren, die heute über dieses und morgen über ein anderes Thema publizieren. In den USA erschien 2009 ein Roman unter dem Titel die »Jagd auf Eichmann«. Nachdem einschlägige in Archiven befindliche Akten freigegeben wurden, konnten sich Forschungen auch der Rolle der CIA bei der Fahndung nach Naziverbrechern zuwenden. Und deren Spur führte wiederum in die Bundesrepublik zum BND. Der ließ erst nach juristisch erlangter Aufforderung die Einsicht in seine Konvolute zu, jedoch erkennbar unvollständig.

In diesem Jahr ist die Druckfassung eines Gesprächs hinzugekommen, das Hannah Arendt und Joachim Fest vor Rundfunkmikrofonen führten und das am 9. November 1964 gesendet wurde, als sich die in den USA entbrannte Kontroverse über ihr Buch »Eichmann in Jerusalem« schon im Abklingen befand. Dem Band ist der Briefwechsel von Hannah Arendt und Fest zwischen 1964 und 1973 angefügt, dazu vier Texte mit dem Für und Wider der »Arendt-Kontroverse«. Wer dies heute wieder oder zum ersten Mal liest, mag sich über die ausgelassenen Fragen wundern.

Die Versuche, Eichmann zu entschlüsseln und ihn an einem historischen Ort zu platzieren, führten nicht weiter als in den bürokratischen Staatsapparat des Naziregimes und zu Erörterungen über die bis dahin bekannten Typen von Mördern, in die er und seine Komplizen sich nicht einordnen ließen. Die allgemeinen gesellschaftlichen und machtpolitischen Voraussetzungen und Bedingungen, die für diesen Mann und seine Rolle erst einen Platz schufen, blieben außer Betracht, ebenso die Beziehungen zwischen Krieg, Kriegsendzielen und dem Massenmorden. Dazu passt der Buchtitel, »Eichmann war von empörender Dummheit«, der Arendt zitiert und ebenso so misszuverstehen ist wie ihre Wendung von der »Banalität des Bösen«.

Autorin der zweiten hier anzuzeigenden Publikation ist gleichfalls eine Philosophin. Bettina Stangneth hat sich mit dem »radikal Bösen« bei Kant befasst und benennt als Schwerpunkt ihrer Arbeit die »Lügentheorie«. An Eichmann interessierten die Autorin insbesondere dessen Selbstinszenierungen, zuerst jene in den Zeiten, da er der Obersturmbannführer und Judenreferent im Reichssicherheitshauptamt war, sodann deren Fortsetzung in der Gesellschaft von Nazis in Argentinien, denen er seine Geschichte erzählte und ausmalte, und schließlich - der berechnete Wechsel - seine Auftritte als Gefangener und Angeklagter in Israel. Das Buch ist Frucht einer Kärrnerarbeit, von der die Autorin am Ende schreibt, sie möchte sie anderen nicht noch einmal zumuten.

Im Zentrum der Forschungen Stangneths stand der Vorsatz, das Bild Eichmanns von Verzeichnungen und Legenden zu befreien, die sich namentlich in Westdeutschland behauptet haben. Das erforderte eine Polemik auch gegen die Sicht Hannah Arendts auf den Massenmörder, die ihn als einen funktionierenden Mitmacher charakterisierte. Sie sei mit anderen dessen verlogenem Selbstbild vom bloßen »Befehlsempfänger« und »kleinen Rädchen« aufgesessen, mit dem Eichmann seinen Kopf zu retten hoffte. Dieses Zerrbild hätte deshalb so weite Verbreitung gefunden, weil es für alle brauchbar war, die ihr eigenes Tun und Lassen mit den gleichen faulen Ausreden einzunebeln suchten. Allerdings war schon in Jerusalem 1961, bei aller Verteufelung Eichmanns, auch nachgewiesen worden, dass er ein Mann von eigener Initiative und ein Motor im Prozess des Judenmordens war. Der Autorin Befund stützt sich auf eine akribische Durchsicht der geschriebenen und gesprochenen, da in Transkripten und auf Tonbändern überlieferten Texte, die sogenannten Argentinien-Papiere.

Eichmann leitete im Nazireich eine Karrieresucht, die er durch Erfolge beim Judenmorden zu befriedigen suchte, gepaart mit einem Geltungshunger, der ihn noch in Südamerika im Kreis der »alten Kameraden« beherrschte. Stangneth gerät jedoch in einen unkontrollierten Galopp, wenn sie konstatiert, dass er »eine bekannte Figur des Dritten Reiches war«. Das ist eine weite Übertreibung.

Wer sich mit Eichmanns Biografie befasst, kommt unvermeidlich auf die Frage, warum der Mann - dessen Flucht- und Aufenthaltsort nicht nur Geheimdienste kannten - nach der Zerschlagung des Regimes nahezu anderthalb Jahrzehnte unbehelligt leben konnte. Stangneths Antwort ist klar: Weil es in der Bundesrepublik in maßgeblichen Kreisen kein Interesse gab, den Mann zu ergreifen und vor Gericht zu stellen, denn er hätte dort Unerwünschtes »auspacken« können. Sie trifft mit der Feststellung ins Schwarze: »Eichmann vor Jerusalem ist kein Einpersonenstück und auch keine argentinische Affäre.« Bei der Aufklärung der in der Bundesrepublik spielenden Akte dieses Stückes ist der Schlusspunkt noch nicht gesetzt.


Hannah Arendt/Joachim Fest: Eichmann war von empörender Dummheit. Gespräche und Briefe. Hg. Ursula Ludz u. Thomas Wild. Piper, München 2011. 206 S., geb., 16,95 €.
Bettina Stangneth: Eichmann vor Jerusalem. Das unbehelligte Leben eines Massenmörders, Arche, Zürich 2011. 656 S., geb., 39,90 €

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