Rosas Rückkehr
In Frankfurt-Bockenheim, wo Luxemburg eine historische Rede hielt, wird ein bemerkenswertes Stück über sie aufgeführt
Das Gebäude Basaltstraße 23 in Frankfurt-Bockenheim war einst eine Gastwirtschaft mit Veranstaltungssaal. Eine auf Veranlassung des früheren SPD-Aktivisten und späteren PDS-Stadtverordneten Heiner Halberstadt angebrachte Gedenktafel erinnert daran, dass hier im September 1913 Rosa Luxemburg bei einer SPD-Veranstaltung im überfüllten Saal eine historische Rede hielt. Die brachte ihr eine Anklage wegen »Aufwiegelung zum Ungehorsam gegen die Obrigkeit« und eine Gefängnisstrafe ein. »Wenn uns zugemutet wird, die Mordwaffe gegen unsere französischen und anderen Brüder zu erheben, dann rufen wir: Nein, das tun wir nicht«, so lautete Luxemburgs in Berichten überlieferter flammender Appell zum Massenstreik gegen den drohenden Krieg.
Das Gebäude überstand die Kriege, diente als Kino und wurde zum kommunalen Bürgertreff Titania umgebaut. Vor gut einem Jahr bezog das Freie Schauspiel Ensemble Frankfurt die Räume.
Als die Ensemblemitglieder erfuhren, dass hier ein historischer Schauplatz ist, kam die Idee eines eigenen Stücks über Rosa Luxemburg auf. Für Regisseur Reinhard Hinzpeter ist die Sozialistin »mit ihrem für heutige Zeiten seltenen politischen Engagement ein absolutes Vorbild« und eine »unangepasste Persönlichkeit, die sich nicht vereinnahmen lässt«.
Das Theaterteam studierte ihre Briefe und Schriften, wälzte Biografien und schaute sich Filme an und war »überrascht, wie viele ihrer Botschaften heute Gültigkeit haben«, erzählt Hinzpeter. Mit dem Stück wollte man jedoch »weder die Lebensgeschichte szenisch nacherzählen noch fiktive Dialoge schreiben«, so der Regisseur, sondern »Rosa Luxemburg, ihre Welt, ihre Freunde und Gegner einzig und allein aus der Sicht von Rosa Luxemburg selbst darstellen«. So entstand ein knapp zweistündiges Drama mit Texten aus der Feder und O-Tönen der Revolutionärin. Der Titel des Dramas »Ich werde sein« stammt aus einem ihrer letzten Artikel vor der Ermordung durch Freikorps-Soldaten 1919.
Rosa Luxemburg wird im Stück durch drei Schauspielerinnen - Naja Marie Domsel, Michaela Conrad und Bettina Kaminski - dargestellt. So ist der Zuschauer nicht auf ein Gesicht fixiert und kann sich mehr auf Text und Inhalte konzentrieren und vielleicht feststellen, wie aktuell die Aussagen über Kapitalismus und Krieg geblieben sind. Bekannt vorkommen mögen einigen auch Rosas Alltagsgewohnheiten und Bemerkungen über eine zunehmende Beziehungskrise und Entfremdung vom Lebensgefährten Leo Jogiches.
Das Stück ist einfach und wirkungsvoll inszeniert, ohne teure Kulissen, Requisiten oder spektakuläre Licht- und Toneffekte. Es versetzt das Publikum zurück in Jahrzehnte unermüdlichen Wirkens der Sozialistin. So sieht sich eine euphorische junge Rosa Luxemburg in der alten SPD zunächst am Ziel und mittendrin im Kampf für den Sozialismus. Es folgt die Ernüchterung über die einseitige Fixierung eines spießigen Parteivorstands auf Parlamente. Sie spürt und kritisiert die zunehmende Verknöcherung der Partei- und Gewerkschaftsapparate, setzt auf Massenaktionen von unten und warnt vor einem Militarismus zu Lasten der Sozialpolitik. Bei aller von Vortragsreisen und Publizistik geprägten Hektik ist ihr nichts Menschliches fremd geblieben.
Das Theaterstück ist seit Wochen durchweg gut besucht und findet bei Menschen fast aller Altersgruppen Anklang. Am Sonntagabend werden Vertreter aus Bürgerbewegungen, Politik und Wissenschaft nach der Vorstellung über die Aktualität von Rosa Luxemburgs debattieren.
Informationen im Netz unter: www.freiesschauspiel.de
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