Spielfreude überfordert Vizeweltmeister
Die deutsche Fußballauswahl spielt die Niederländer beim 3:0 in Hamburg schwindelig
Leere Blicke und angespannte Ruhe im Mannschaftsbus: Selbst eine Stunde nach Spielende schwiegen die Niederländer fassungslos. Einer fehlte noch. Als Letzter bahnte sich Wesley Sneijder den Weg aus der Hamburger Arena. »Ja, wir waren chancenlos«, presste der Mittelfeldspieler von Inter Mailand noch raus, ehe auch er im schützenden Innenraum des Busses verschwand. Die 0:3-Niederlage gegen die deutsche Nationalmannschaft hatte die Niederländer tief getroffen. Vor allem aber die Art und Weise.
Zugegeben, derzeit ist es nicht allzu schwer, Zuschauer in Hamburg zu begeistern. Der letzte Sieg einer Heimmannschaft im Stadion des HSV konnte im März gefeiert werden. Der überschwängliche Jubel der 51 500 Zuschauer war am Dienstagabend dennoch nicht übertrieben. »Man weiß ja gar nicht, welches der Tore nun am schönsten war«, frohlockte Angreifer Thomas Müller. War es sein Führungstreffer nach einer Viertelstunde, das 2:0 durch Miroslav Klose elf Minuten später oder das letzte Tor von Mesut Özil nach 66 Minuten? Egal. »Es war insgesamt eine überragende Leistung«, adelte Müller sich und sein Team.
Dabei hatten die Niederländer das Freundschaftsspiel keineswegs auch als solches gesehen. Freundschaftsspiele gebe es gegen Deutschland nicht, versicherte Kapitän Mark van Bommel. Allein sechs Fouls und eine gelbe Karte in den ersten zwanzig Minuten der Partie sprechen dafür. Doch viel mehr als Aggressivität und körperliche Robustheit hatte das Team von Bondscoach Bert van Marwijk nicht zu bieten.
So musste Manuel Neuer im deutschen Tor nur bei Standardsituationen oder Distanzschüssen wachsam sein. Die spielerische Armut ist aber auch ein Teil von van Marwijks Programm. Seit der 59-Jährige die Elftal im Sommer 2008 übernommen hat, verschob sich die Ausrichtung vom geliebten Offensivfußball hin zum kühlen Ergebnissport mit harter Gangart.
So wurden die Niederländer 2010 Vizeweltmeister, und so sind sie gegen eine spiel- und kombinationsfreudige deutsche Nationalelf am Dienstag untergegangen. Vor allem das Offensivtrio Klose, Müller und Özil spielte den Gegner schwindelig. Wie beim 1:0, als Klose einen 30-Meter-Diagonalpass von Toni Kroos direkt in den Strafraum ablegte und Müller nur noch einschieben musste. Wie beim 2:0, als Müller auf Özil passte und dessen Flanke den Kopf von Klose fand. Wie beim 3:0, als sich alle drei mit vier schnellen Pässen durch die gegnerische Abwehr spielten und Özil den Ball ins leere Tor schob. Und wie bei etlichen anderen Chancen.
Überragend seien die Tore herausgespielt worden, lobte Bundestrainer Joachim Löw die Offensive: »Die Niederländer waren sichtlich überfordert.« Die Basis dafür sah er in einer sehr guten Organisation. Wohl wahr: Ohne Foulspiele eroberte die DFB-Elf dank ihrer Raumaufteilung die Bälle. So spielt ein EM-Titelfavorit. »Ja. Wenn morgen das Turnier wäre. Aber in einem halben Jahr kann viel passieren«, bremste Löw die Euphorie.
Deutschland: Neuer - Boateng (65. Höwedes), Mertesacker, Badstuber (46. Hummels), Aogo - Khedira (88. L. Bender), Kroos (82. Rolfes) - Müller, Özil, Podolski (65. Götze) - Klose (82. Reus).
Niederlande: Stekelenburg - van der Wiel, Heitinga, Mathijsen, Braafheid - van Bommel, Strootman (64. Nigel de Jong) - Kuyt (87. Wijnaldum), Sneijder (87. Luuk de Jong), Babel - Huntelaar (76. Beerens).
Tore: 1:0 Müller (15.), 2:0 Klose (26.), 3:0 Özil (66.). Schiedsrichter: Cakir (Türkei). Zuschauer: 51 500.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.