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V-Mann »kleiner Adolf«

Jahrelange Geheimhaltung um Verdächtigen in Hessen

  • Hans-Gerd Öfinger, Wiesbaden
  • Lesedauer: 2 Min.
Die Diskussion um Konsequenzen aus der Mordserie der Terrororganisation »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU) und die Verstrickung von Verfassungsschutzämtern ist auch in den Ländern voll entbrannt.

In Hessen haben neue Erkenntnisse über die Anwesenheit eines Mitarbeiters des Landesamtes für Verfassungsschutz bei der Ermordung des Betreibers eines Kasseler Internetcafés im Jahre 2006 Fassungslosigkeit und eine breite Diskussion ausgelöst. Als langjähriger Innenminister steht Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) im Rampenlicht. Die Parlamentarier hatten erst aus den Medien erfahren, dass der Agent zur Tatzeit am Tatort war und unter Mordverdacht steht. Das Wiesbadener Innenministerium und das Landesamt für Verfassungsschutz wollten dies nicht kommentieren.

Für viele Beobachter ist rätselhaft, warum die Tatsachen erst fünf Jahre später jetzt bekannt wurden. Der ehemalige V-Mann soll in der Zwischenzeit von seiner Tätigkeit suspendiert und auf eine andere Tätigkeit beim Regierungspräsidium Kassel versetzt worden sein. »Ich weiß nicht, ob es so war«, sagte Bouffier. »Wenn es so gewesen sein sollte, ist es mehr als erschütternd.« Im Jahr 2006 seien diese Umstände im Innenausschuss nicht kommuniziert worden, monierte der Abgeordnete Jürgen Frömmrich (Grüne). Bouffier hatte dem Vernehmen nach dem Ausschuss nicht mitgeteilt, dass bei dem V-Mann Waffen gefunden worden seien und dass es sich um einen bekennenden Neonazi handele. Für Mittwochabend wurde eine Sitzung der für die Kontrolle des Verfassungsschutzes zuständigen parlamentarischen Kommission einberufen.

Nicht in diesem Gremium vertreten ist die hessische Linksfraktion. »Wir glauben der Landesregierung in dieser Sache kein Wort mehr«, sagte deren parlamentarischer Geschäftsführer Hermann Schaus. Die Obleute der Fraktionen seien am Montag vom Innenministerium falsch informiert worden und hätten erst aus dem Bundestag nähere Umstände erfahren. So etwa die Tatsache, dass der verdächtige V-Mann für seine rechte Gesinnung unter dem Namen »kleiner Adolf« bekannt gewesen sei und sich an drei Tatorten der NSU-Mordserie aufgehalten habe. Nun sei eine unabhängige Untersuchung mit Sachverständigen auf Landes- und Bundesebene nötig, forderte Schaus. Zudem werden in der hessischen Linksfraktion Forderungen nach einer mittelfristigen Auflösung des Verfassungsschutzes lauter.

In Thüringen, wo das Landesamt für Verfassungsschutz maßgeblich von Hessen aus aufgebaut worden war, soll nun eine Kommission nähere Umstände einer möglichen Verstrickung von Sicherheitsbehörden des Freistaats mit den Aktivitäten der neonazistischen Terroristen klären.

Ein Antrag des SPD-Kreisvorstands Erfurt pro Auflösung des Thüringer Verfassungsschutzes war im Sommer beim SPD-Landesparteitag abgelehnt worden. »Der VS hat durch zahlreiche Skandale und Übergriffe die politische demokratische Kultur beschädigt und nicht verteidigt«, so die Antragsbegründung. Stattdessen forderten die Delegierten eine »bessere Überwachung«.

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