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»Viel besser als die Pershing II«
»Gedichte für Zeitgenossen«: eine deutsch-deutsche Lyrik-Anthologie aus 50 Jahren
Fünfzig Gedichte aus einem halben Jahrhundert hat Anton G. Leitner aus Anlass des 50. Geburtstages des Deutschen Taschenbuch Verlags ausgewählt und herausgegeben. Er ist selbst Jahrgang 1961 und dem Münchener Verlag durch die Edition von einem Dutzend Gedicht-Anthologien, so u.a. mit »SMS-Lyrik«, seit Langem verbunden.
Müßig daran zu erinnern, dass auch die vorliegende Auswahl eine subjektive ist, man also Autoren und Texte nennen könnte, die ebenfalls in eine solche Sammlung gehörten. Zwischen einem Pro- und einem Epilog stehen fünf Kapitel zu je zehn Gedichten, die gleichsam eine Dekade vertreten. Den Reigen im Abschnitt 1961-1970 eröffnet mit »Knarren eines geknickten Astes« ein spätes Gedicht von Hermann Hesse. Mit »Der Strandgänger« hat Anton G. Leitner auch ein weniger bekanntes Gedicht von Johannes Bobrowski und mit »jugend in den pfarrgarten« einen kurzes, aber lang nachwirkenden Text von Reiner Kunze sowie Wolf Biermanns widerhallende »Stasi-Ballade« aufgenommen. Drei Gedichte von früh verstorbenen Autoren, die die Lyrik der siebziger Jahre mitbestimmten, folgen im zweiten Kapitel aufeinander: Rolf Dieter Brinkmann, Nicolas Born und Jörg Fauser. »Die Scheiße« von Hans Magnus Enzensberger ist ein Text, der nichts anderes als ein anrüchiges Loblied sein will. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich freilich, dass es sich um einen kapitalismuskritischen Text handelt. Enzensberger ist, wie Ulla Hahn, übrigens zweimal vertreten.
So kämpferisch wie Enzensberger im Westen war, ist Volker Braun in Deutschlands Osten. Von ihm fand das Gedicht »Das Eigentum« (1997) Aufnahme: »Mein Eigentum, jetzt habt ihrs auf der Kralle. / Wann sag ich wieder mein und meine alle.«
Auf Gedichte, die von der politischen Stimmung ihrer Zeit zeugen, hat Leitner generell großes Augenmerk gelegt. Die gehören freilich nicht immer zu den künstlerischen Schwergewichten. So wie Rolf Bos-serts »Standpunkte«, das im Kapitel 1981-1990 zu finden ist und mit den Worten anhebt: »Viel besser als die Pershing II / Ist ein weiches Frühstücksei«.
Die Autoren sind, wie die Namen zeigen, in der Mehrheit westdeutsche. Zu den DDR-Autoren kommen noch Schweizer Lyriker wie Kurt Marti oder Beat Brechbühl. Schön zu sehen, dass im letzten Abschnitt (2001-2010) sowohl ein Gedicht des Leipziger Autors Ralph Grüneberger als auch von Bas Böttcher, dem »Prinzen des Slam Poetry« (Rory McLean), für würdig befunden wurden, die Lyrik der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu repräsentieren.
Gedichte für Zeitgenossen. Lyrik aus 50 Jahren. Hg. v. Anton G. Leitner. Ill. v. Rotraut Susanne Berner. dtv. 141 S., br., 9,90 €Das »nd« bleibt gefährdet
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