Sprechblasen im Comic
Berliner Schaubühne: Fassbinders »Katzelmacher«
Keine schlechte Idee, Rainer W. Fassbinders Griechen-Bashing-Stück »Katzelmacher« jetzt auf die Bühne zu heben. Die neuen Klischees aus der globalen Finanzkrisenzeit - Griechen seien Faulpelze in einer ineffizienten Gesellschaft - können da prima auf die alten Vorurteile der Gastarbeiteranfangsjahre gelegt werden. Als dumme stinkende Männer bezeichnet die dumpfe Münchner Vorstadtclique in Fassbinders Werk den Griechen Jorgos, der als Gastarbeiter - die meisten sagen »Fremdarbeiter« - in ihre Gegend kommt.
Der Arbeiter Peter, der sein Zimmer mit Jorgos teilt, zeigt zur Verdeutlichung der Größe von des Griechen Gemächts den Kumpanen eine gut gewachsene Möhre. Dazu seien die Griechen noch fast alle Kommunisten, erfährt man später in einer orgiastischen Szene des Abends. Die Klischees von damals purzeln also munter durcheinander. Und selbst wenn sie nicht ganz deckungsgleich mit den heutigen sind, so wird man zumindest daran erinnert, dass die schnelle Meinungsbildung nicht immer die beste ist. Das ist bereits ein Mehrwert an Erkenntnis.
Regisseur Ivan Panteleev hat in dieser Koproduktion zwischen Studierenden der Hochschule für Schauspielkunst »Ernst Busch« und der Schaubühne noch eine weitere prächtige Idee. Er fängt gleich mit den Dingen an, auf die es wirklich ankommt im Leben: dem Paarungsverhalten. Ein Mann mit Cowboyhut (Moritz Schulze) wippt im Gleichklang mit einem rehäugigen Uschi Glas-Look-a-Like (Josepha Grünberg) auf der Matratze. Ein seltsamer Gangleader (Christian Schneeweiß mit einem einzigartigen lässig-verklemmten Außenristgang) steckt seine aufgebrezelte Mieze (Elisabeth Lehmann) in einen VW-Käfer, dessen oft wippende Originalkarosserie der Augenfang der Bühne ist (Bühne und Kostüme: Jochen Hochfeld).
Selbst die hochgeschlossene Blondfrau mit Hochsteckfrisur (Esther Agricola), die sich zunächst, weil vom Cowboyhutträger missachtet, allein an einem Holzpfeiler zu schaffen macht, findet schließlich noch den Ihren (Hauke Diekamp). Elisabeth, der reiche Vamp (Christin Nichols) schüttet dem devoten Peter (Fabian Jung) das bestellte Bier in Gesicht und Unterleib und verleiht dem Balzverhalten eine demütigende Note. Nur die dralle Gunda (Maria Thomas) wedelt mit ihrem Rock vergeblich alle Männer an.
Dieses Paarfindungspanorama lässt Panteleev dann zyklisch wiederholen. Kein Wort fällt dabei. Subtile gestische Variationen deuten an, dass die Paarungen auch in anderen Konstellationen stattfinden könnten. Dann, leider, öffnen die Akteure doch ihre Münder und lassen die banalen Worte, die ihr pantomimisches Spiel doch schon ausreichend artikuliert hat, aus sich herausfallen. Sie bedienen sich dabei jenes artifiziellen Bayrischs, das Fassbinder selbst für diese Arbeit entwickelt hat. Es handelt sich um eine Kunstsprache, die Resonanzen zum Büchnerschen Hessisch erklingen lässt.
Doch was die Protagonisten sagen, hat meist leider nur die Güte einer Sprechblase im Comic. Sie wabert über der Figur im Raum und erzählt, was gute Zeichner ohnehin schon aufs Blatt gebracht haben und was nur schlechte Zeichner zur Verdeutlichung ihrer Absicht nötig haben.
Panteleev hat das Zeug zum guten Zeichner. Leider. Denn das ist kontraproduktiv. Die Sprache, auf die er zurückgreift, kann nicht mir der Bildsprache mithalten. Sie liefert nur selten einen eigenen Erkenntniswert, der über den Comic-Strip, den er inszeniert, hinaus geht. Etwa dann, wenn Peter, der Narr, die Situation von Gastarbeitern, denen Wohnungen zu überteuerten Preisen und Arbeit zu Dumpinglöhnen abgeboten werden, mit der Lage der einheimischen Arbeiter und der deutschen Volkswirtschaft ganz allgemein in Zusammenhang bringt.
Ansonsten bleibt die Inszenierung im Fahrwasser eines Live-Comics. Köstlich, wenn auf die Projektionswand Bilder vom VW-Käfer geworfen werden, in dem die Mädchen sitzen und der von den Jungs ganz sacht bewegt wird. Die lautlosen Gespräche der Mädchen über erwünschte und erträumte Zärtlichkeiten spricht Bertram Maxim Gärtner in der Rolle des Jordos laut in den Raum. Er wird zum Medium, durch das sich alle ausdrücken. Die Mädchen, die von ihm begehrt werden wollen. Die Jungs, die in einer verlangsamten Prügelszene ihre Aggressionen entladen. Und Gunda, die sich wenigstens damit interessant machen kann, dass sie die Enttäuschung über die Ablehnung durch Jorgos in den Vorwurf versuchter Vergewaltigung umwandelt.
Aber diese Simplifizierung, die durch die fast stumme Rolle des Jorgos, der außer »Griechenland viel Sonne« und »Deutschland kalt« wenig zu sagen weiß, ihren extremsten Punkt erfährt, kann leider nicht einmal ein Streiflicht auf den heutigen Alltag werfen.
Nächste Vorstellung: 13. 12.
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