Große Pharaonen, winzige Gässchen
Vor 100 Jahren wurde der ägyptische Literaturnobelpreisträger Nagib Machfus geboren
»Ich würde gern zur jungen Generation gehören, nicht weil ich glaube, dass sie es weniger schwer hat als wir damals, sondern weil sie viele der Schwierigkeiten aus dem Weg geräumt hat, die uns unser Leben vergällten.« Der Ausspruch von Nagib Machfus ist über 40 Jahre alt, und so ist gar nicht sicher, ob die junge Demonstrantengeneration der ägyptischen Metropolen überhaupt von ihm weiß. Ermutigung dieser Art täte wohl gut, wo ihnen doch gerade vom Militär die Grenzen der neuen Freiheit aufgezeigt werden.
Nach Präsidentensturz und zähem Ringen um das »Wie weiter?« steht das Land am Nil derzeit mitten im Wahlprozess. Sechs Wochen lang, zeitversetzt von Provinz zu Provinz, bestimmen 50 Millionen Wahlberechtigte die Mitglieder ihres Parlamentes, erstmals. Manche sagen, es sei überhaupt das erste Mal in der mehr als 4000-jährigen Geschichte des Landes, dass dessen Bevölkerung über eine politische Angelegenheit frei entscheiden kann; so frei es eben unter einer Militärherrschaft sein kann. Bis jetzt aber, so der äußere Eindruck, hat die intellektuelle Elite des Landes die gewachsenen Möglichkeiten öffentlicher Artikulation nicht übermäßig getestet.
Zweifellos, es fehlt der große Vordenker. Seit dem Tode des legendären Präsidenten Gamal Abdel Nasser 1970 vermisst das stolze Volk der Ägypter eine Leitfigur. Und wartet. Auf wen? Sicher nicht auf einen wie Machfus, obwohl er der einzige Ägypter war, der den Literatur-Nobelpreis erhielt. Doch einen intellektuellen »Schreiber« wie er einer war, ersehnen die Massen nicht. Kein Riese von Charisma, ohne Kampfesruhm, ja sogar ohne Uniform - das geht kaum in einem Land, in dem der Regent seit ewigen Zeiten König oder Militär ist oder beides.
Machfus ist 2006 gestorben, mit 94 Jahren, hat also die Umbrüche von heute weder gekannt noch vorausgesehen. Doch es ist fraglich, ob er sich zu wohlfeilen politischen Statements hätte hinreißen lassen Noch ein bisschen herumtrampeln auf gestürzten Denkmalen wie Husni Mubarak? Sechs Jahrzehnte zuvor, als Faruk, der letzte König Ägyptens, von Nassers Freien Offizieren zum Abtreten gezwungen wurde, tat er es jedenfalls nicht. »Nachdem die alte Gesellschaft dahingegangen war«, äußerte er dazu später, »verschwand mit ihr auch mein Wunsch, sie zu kritisieren. Ich hatte das Gefühl, ich sei literarisch tot, und mir sei nichts geblieben, was ich hätte sagen oder schreiben können. So schrieb ich von 1952 bis 1957 kein einziges Wort.«
Da hat er schon ein bisschen kokettiert, denn untätig ist Machfus keinesfalls gewesen in jenen Jahren. Er schrieb zum Beispiel Drehbücher für Spielfilme. Eine lukrative Sache, denn man vergesse nicht: Kairo war und ist das arabische Bollywood. Sein Job ließ ihm dafür offenbar ausreichend Zeit und war überhaupt ideal dafür. Machfus konnte sich faktisch selbst protegieren, denn - welch glücklicher Umstand - Machfus war damals nicht nur als gut situierter Beamter im ägyptischen Kulturministerium tätig, sondern dort auch noch in der Aufsichtsbehörde der Filmabteilung. Zum Heiraten blieb auch noch Gelegenheit.
Allein daraus ergibt sich, dass Machfus nicht der Typ des armen oder gar noch aufsässigen Dichters war; vereinfacht gesagt: Er war, gemessen an seinem Platz im und seiner Haltung zum System doch viel mehr ein Goethe als ein Schiller. Sowohl während der Monarchie als auch in der nationalrevolutionären und der folgenden restaurativen Phase wurde Machfus mit Preisen überhäuft. Die Auswahl seiner literarischen Sujets hat das offenbar nicht beeinflusst. Ihn, den wohlbehütet aufgewachsen Altkairoer, interessierten in seinen Erzählungen und Novellen die kleinen, unscheinbaren Wesen im Moloch der Großstadt. Ihnen muss er für die damalige Literaturwelt Ägyptens despektierlich nahe gekommen sein, ob in der »Moschee in der Gasse«, wie »Ein Betrunkener singt« oder in einem »Haus mit schlechtem Ruf«.
Machfus richtet sein »spotlight« auf die hintersten Ecken von Kairo, beschreibt die Leute scheinbar leidenschaftslos in einem, häufig »dem« Augenblick ihres Lebens, dann ist das Licht wieder aus. Man hat den Eindruck, er verzichtet bewusst auf Empathie. Möge sie sich im Auge des Betrachters oder im Herzen des Lesers aufbauen. Ihn aber fasziniert offenbar das Lakonische, er schien es zu bewundern an Menschen, zu denen er aufsah, mochte ihm das Gesagte auch nicht gerade schmeicheln.
So erzählt Machfus über eine Begegnung mit dem von ihm verehrten Schriftsteller Taha Hussein, dieser habe ihn einst gefragt, warum er Philosophie studieren wolle. Er habe ihm daraufhin eine Menge erzählt über Geheimnisse des Universums und das Mysterium der menschlichen Existenz, deren Ergründung er über das Studium der Philosophie näherzukommen hoffe. Hussein habe ihm aufmerksam zugehört und dann sarkastisch gesagt: »Du liegst richtig mit der Wahl deines Studienfachs, weil das, was du sagst, unverständlich ist.«
Machfus vergrub sich literarisch auch gern in die ägyptische Antike und das Mittelalter, beschrieb das Leben von Pharaonen und Sultan Saladin. Im jetzt vom Unionsverlag editierten Roman »Das junge Kairo« (eigentlich »Al Qahira al-gadida« - »Das neue Kairo«) zeigt er sich noch von einer anderen Seite. Das Schicksal von Machgub und seinen studentischen Freunden hätte sich als Stoff auch aufgedrängt für einen »film noir« aus seiner eigenen Werkstatt. Denn just in jener Zeit, als er im Kairoer Ministerium der Herr der Filme war, erlebte jenes Genre in Frankreich Erfolge. Der Roman war zu jener Zeit längst geschrieben.
Machfus schildert darin auf eindringlich-drastische Weise, wie schmutzig die Karriereleiter in Ägyptens Beamtenhierarchie sein konnte und - wiewohl schon in den 40er Jahren erschienen, erweckt die Geschichte keineswegs den Eindruck, als wäre ihre Wiederholung so oder ähnlich heute unvorstellbar: Ein junger Beamter kann einen gut dotierten Posten erlangen, wenn er die (abgelegte) Geliebte eines Höhergestellten ehelicht, diesem aber gelegentliche Tête-à-Têtes bei seiner Gattin einräumt...
Nagib Machfus. Das junge Kairo. Roman. Aus dem Arabischen von Hartmut Fähndrich. Unionsverlag. 320 S., geb., 19,90 €.
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