Dieser lächerliche Stahlhelmblick
Deutsches Theater Berlin: Dieter Hildebrandt bei Gregor Gysi
Gysi bei der vormilitärischen Ausbildung: Er ist klein. Steht also ganz hinten (was später nie wieder vorkommen wird! Rache muss sein!). Vorn brüllt der Ausbilder irgend- einen Befehl, Gysi fragt aus der Ferne: »Wie bitte?«
»Verdammt«, schlägt sich Dieter Hildebrandt lachend auf die Schenkel, »das ist mir damals leider nie eingefallen.«
Witziger Abschluss eines langen Gesprächskapitels über des Kabarettisten Jugend in Hitlers Vorkrieg und Krieg, im Arbeitsdienst, auf der Flucht, in der US- und britischen Gefangenschaft; kleine, treffende Erzählungen über Hunger, über Braune, die dann im Osten schnell rot wurden oder im Westen braun bleiben durften, über großzügige Offiziere und beißerische Feldwebel, über den Totenschock und die Russenangst. Bittere Grunderlebnisse, die nicht ins Gemüt Hildebrandts passten, denn »ich bin albern, bin ein Lacher, Typ Klassenkasper« (Gysi fühlt sich miterzählt); alles Militärische ist Menschendressur, wer gern eine Uniform trägt, ist letztlich ein Idiot, den kein Motiv rettet; Hildebrandt denkt an den Stechschritt vor Ehrenmalen, da rettete den Eindruck nicht mal, dass sie antifaschistisch waren, dieser Stahlhelmblick nach vorn, »den hat jetzt mehr und mehr auch die Kanzlerin« - dieser Blick hat etwas entschlossen Falsches, Lebloses. Als wenn langsam Blut aus einem Körper flösse.
Dieter Hildebrandt, der Pointenkönig des deutschen Kabaretts, eine moralische Instanz, wie sein Interviewer später sagen wird, am vergangenen Sonntag zu Gast am Deutschen Theater Berlin: »Gregor Gysi trifft Zeitgenossen«.
1927 wird Hildebrandt im schlesischen Bunzlau geboren, er erzählt von der »geliebten Großmutter, »man hat ja immer zwei Großmütter, und eine ist die geliebte«, er berichtet von Leseerlebnissen mit Ernst Wicherts »Einfachem Leben«, Heines »Harzreise« und dem Wälzer »Quo vadis«. Aus dem Kriegsgefangenen - der am 8. Mai 1945 nicht zusammenbrach, sondern diesen wunderbar warmen, sonnigen Tag wahrlich als Befreiung fühlte und dann auch begriff - wird ein Abiturient, ein Theaterwissenschaftsstudent. Kommilitonen: Maximilian Schell, August Everding, Thomas Holtzmann - und Peter Hacks, »unser Star, der immer Oscar Wilde zitierte«, und der allen das schönste Mädchen im Studienjahr wegschnappte und plötzlich in die DDR abhaute, mit Mädchen. Gysi plaudert, dass er der Anwalt von Hacks war.
Im Münchner Kabarett-Theater »Die kleine Freiheit« wird Hildebrandt im studentischen Nebenjob Kartenabreißer und Platzanweiser. Er trägt den geliehenen Anzug eines Orchestermusikers, an der Schulter ein großer hellgeschabter Fleck. Ein fetter Besucher verächtlich: »Geiger, wa?« Hildebrandt tippt ihm an die Wanne: »Schwanger, wa?« Ein Mann in der Nähe lacht schallend und schenkt Hildebrandt eine Mark: Erich Kästner.
So begann's. Platzanweiser. Vielleicht überhaupt die Grundtätigkeit des politischen Kabarettisten: Er weist sich selbst und jedem anderen Einzelnen den einzig vernünftigen Platz zu - aufzustehen. Dafür wird Hildebrandt Mitbegründer der Münchner Lach- und Schießgesellschaft. Es folgen die erfolgreichen Fernsehjahre mit Werner Schneyder (»Notizen aus der Provinz« und »Scheibenwischer«).
Wenn man Hildebrandt auf der »Scheibenwischer«-Bühne sah, dann fühlte man sich als Zuschauer sofort einbezogen in die Suche nach einer verlorenen Zeit. Die Zeit, da sich Ensemble-Kabarettisten Aphorismen zuwarfen, aber es wirklich noch so aussah, als wären die ihnen gerade eben eingefallen. Die Zeit, da noch nicht zu viel Wahrheit zur Meinung geworden war. Als wir alle noch nicht umzingelt gewesen sind von grenzenlosen Späßen. Als noch gelacht und nicht nur gefeixt wurde. Als noch nicht jener Kreis aufgemacht worden war, auf dessen Linien sich hurtige Komödianten und trotzige Kabarettisten zunächst vehement voneinander entfernten, aber nicht umhin kamen, irgendeines Programmabends einander unweigerlich zu begegnen. Der Teufels-Kreis der Quote. Und dann ist aus der jeweils eigenen Linie unter der Hand der gemeinsame Strich namens Comedy geworden. Getrennt marschieren, aber gemeinsam verkauft werden. Eines Tages zieht Hildebrandt deshalb sich und den Namen »Scheibenwischer« zurück.
Seine Zeit, das war die Zeit, als sich im Kabarett Bekenntnis und Erkenntnis noch nicht aus dem Weg gehen mussten: Die Lach- und Schießgesellschaft kämpfte gegen Wiederbewaffnung, gegen ranghohe Altnazis als neuerlich ranghohe Neodemokraten, sie kämpfte gegen Adenauer, für Brandt. Und es war die Zeit, da in Fernsehanstalten noch stärkeres Bedenken gegen eine handgreifliche politische Polemik herrschte. Wirklich herrschte. Weil es besagte böse Polemik tatsächlich gab und Unerschrockenheit im Fernsehen mehr war als nur Aushaltekraft im »Dschungelcamp«.
Hildebrandt erinnert sich an den SFB-Redakteur, der beim Ende der »Notizen aus der Provinz« weinte - vor Glück, dass endlich Schluss sei. Zugleich gab es noch Intendanten (»heute wohl undenkbar«), die gegen jede Parteivorsicht, gegen jeden Lobbyeinspruch fest und couragiert blieben. Und auch Hildebrandt ist der Verführung nie erlegen, sein Niveau da hinab zu senken, wo Politiker die Kritik an ihrer Arbeit wohlgefällig als Werbung genießen dürfen.
Er ist auch ostdeutschen Kabarettisten gleichsam Nestor kulturvollen Widerstandsgeistes geworden. Als er Mitte der achtziger Jahre mit Schneyder in Leipzigs »Pfeffermühle« und im Keller der »academixer« gastiert, hatte er besondere Furcht vor einem Auftritt bei der Gilde der DDR-Kabarettisten. Nichts Schlimmeres als Kollegen, denn: Nichts Schlimmeres als Neid! Es wurde ein grandioses Fest der Gemeinsamkeit. »Wir retteten in jener wunderbar durchgefeierten Nacht mit unserer Klugheit ganz Deutschland!« Damals hatte Hildebrandt auf der Bühne gesagt (in der ersten Reihe Uniformierte mit besagtem Stahlhelmblick), in der DDR sei es doch gewiss auch so, dass der Bürger sein Herz gern dem Staat öffne - und der Staat bedanke sich beim Bürger, indem er ihm gern die Briefe öffne. - Kurze Sätze über Leute. Der großartige Roger Willemsen: »Er weiß unangemessen viel.« Biedenkopf: »Meinungsvagabundist - wie kann ein so intelligenter Mann nur ein Leben lang so charakterlos sein.« Und »Scheibenwischer«-Kollege Matthias Richling? »Hervorragender Parodist.« Dann Schweigen - das noch zur Antwort gehört. Gerhard Polt: »Seine Kleinbürgerporträts sind bedrohlich echt. Manche Leute halten das selbstschützerisch lieber beschwichtigend schnell für Komik.« Georg Schramm: »Das ist die absolute Erfüllung des politischen Kabaretts, wie ich es erträumte.« Beifall.
Nie wieder achtzig! So heißt Hildebrandts Autobiografie. Es klingt wie weiland die Ost-CDU: Keine Experimente mehr! So sieht die CDU heute auch aus. Dieter Hildebrandt sieht nicht so aus, als könne er je einem Satz der CDU folgen. Über der Plage CDU und CSU ist er ein wenig älter geworden, denn beide sorgten für harte Arbeit. Man sieht's ihm nicht an. Freilich: Er präsentiert auch an diesem heiteren, gescheiten Vormittag - an dem Gysi kinderaugenglücklich leuchtet wie selten - seine geistige Überlegenheit höchst verlegen. Das war ja stets die grandiose Verzögerungstechnik Hildebrandts: Er stottert, stolpert uns redend entgegen, als wäre es ihm lieber, wir selber kämen auf die Wahrheit und sprächen sie noch vor ihm, statt seiner aus. Er ist geradezu zuvorkommend: Er wünscht sich, das Publikum käme ihm zuvor. Er ist somit der verhinderte Geburtshelfer eines Bürgermuts, der sich dann doch lieber begnügt, ins Kabarett zu gehen, statt selber aufs Ganze.
Die gespielte Unsicherheit, die List des Vortastens, die alle Töne kennt außer dem Brustton. Weil Brustton kein Frageton ist. Und Fragen hat Hildebrandt noch immer, es sind Dauerfragen: Warum sind wir so verzweifelt gierige Glückssucher? Woher dieses ewige Beuteverhalten? Warum wollen wir immer noch mehr?
Standing ovations. Für einen intelligenten, unbestechlichen Witz im zivilen Widerstand. Gysi hat auch »noch einen«, aus DDR-Zeiten, damals live vor Zuschauern erzählt von Eberhard Cohrs: »Ein Mann sagt, er habe zu Ulbricht gewollt, aber dieses Schwein, diese Sau - Herzstille und Entsetzen im Publikum - dieser Drecksack … von Pförtner habe ihn leider nicht vorgelassen.«
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