Ein Ort der trügerischen Zuflucht
David Vann: Sein Roman »Im Schatten des Vaters« ist Literatur erster Güte
Der Roman (im amerikanischen Original nach der Alaska-Insel »Sukkwan Island« genannt) zählt »netto« gerade 170 Seiten, Seiten freilich, die es in sich haben. Vanns intimer Familienroman ist Literatur erster Güte. Da überrascht es kaum, dass der Autor zehn Jahre gebraucht hat, um dieses Prosastück seiner inneren Stimme abzuringen (niedergeschrieben hat er das Angestaute allerdings in wenigen Wochen). Der Prosa-Stück ist brutal, wohl deshalb mussten weitere zehn Jahre vergehen, ehe sich dafür ein Verlag finden ließ. Insofern ist es für uns Leser im alten Europa (wo das Buch mehr Zuspruch findet als in der »neuen Welt«) ein Glück, dass David Vann als Preisträger einer Short Story Competition eine Publikationsmöglichkeit gewann. Mittlerweile ist der Kurzroman in sieben Sprachen übersetzt und ein mehrfach preisgekrönter internationaler Erfolg. Ein Trostpflaster für all jene, deren Werk im Ganzen oder in Teilen bislang ebenfalls verkannt wird.
»Im Schatten des Vaters« stellt eine Auskopplung aus dem Erzählband mit längeren und kürzere Texten »Legend of Suicide« dar, der 2008 erschienen ist; ein Titel, der sich an David Vanns' Familienchronik festmachen lässt, einem Stammbaum voller Galgenstricke. Sechs Selbstmorde kennt die Familiengeschichte und einen Mord. David Vann wurde als Heranwachsender mit dem Suizid seines Vaters konfrontiert; einem Vater, der ihm lebendig ein Fremder war und dem er sich bei der eigenen Mannwerdung nähert. »Mein Vater hat sich umgebracht, als ich dreizehn war; und drei Jahre später, sagte ich zu jedem, dass er an Krebs gestorben sei, weil ich die Art, wie er sich selbst umgebracht hat, als beschämend empfand«, äußert er in einem Interview. Der Freitod des Vaters bleibt für den Sohn lange Zeit ein Trauma. Wieder und wieder sieht er den Vater durch den Schnee von Alaska stapfen, umgeben von Schneestürmen, die die Himmelsrichtungen durcheinanderbringen und den Vater daran hindern, zu seiner Familie zurückzugelangen. Bilder, die später den Roman bestimmen, wenn Vater und Sohn sich auf eine unbewohnte Insel verbannen.
Die Handlung des Romans, dessen Einmaligkeit ihm Züge einer Novelle verleiht (was haben wir von Goethe gelernt? - ein »seltsames, unerhörtes Ereignis«), kann nur in geringem Maße Gegenstand einer Rezension sein. Nicht die Leselust könnte Schaden nehmen (da sich diese schon nach wenigen Sätzen einstellt). Aber der Spannung, auf die der Leser (m/w) einen Anspruch hat, wäre es abträglich, wenn im vorhinein bekannt wird, wie die Geschichte ausgeht. Die Vater-Sohn-Konstellation ist Fiktion. Man könnte auch sagen, sie ist die Umkehrung der Wirklichkeit. Auf den Kopf gestellt, fällt für den Autor alles Belastende vom Herzen.
Die Handlung konzentriert sich zunächst auf Roy, den dreizehnjährigen Jungen, und die Kammerspielsituation wird anfänglich oft aus dessen Blickwinkel geschildert. Roy ist der Sohn des Mannes, der den Schatten, oder besser gesagt, den Windschatten bildet. Den Leser erwartet eine überaus dramatische Szene, in der der Autor dies bildhaft werden lässt. Doch inmitten der von den Naturgewalten bestimmten Stätte muss der Vater erkennen, dass die Insel ein trügerische Ort für seine Zuflucht ist, wie auch der Sohn ihm keine Projektionsfläche für seine Probleme bieten kann. Spät, erst im zweiten Teil, bekommt dieser Vater einen Vornamen und die Geschichte, das was man in der Novelle eine Wende nennt.
David Vann, Jahrgang 1966, im kalten Norden (Ketchikan) geboren und nun im warmen Westen (San Francisco) zu Hause, verdiente bislang das Brot als Sachbuchautor und Professor für kreatives Schreiben. Bei seinen Auftritten in Deutschland zeigte er sich auf bescheidene Weise vom Erfolg seines Buches überrascht. Ein Erfolg, der in großen Teilen der Übersetzerin Miriam Mandelkow zu verdanken ist, die den Inselsound zu treffen vermochte. Da der Autor für die Buchhalter beim Suhrkamp Verlag kein Risiko mehr bedeutet, wird schon im nächsten Frühjahr ein neues Werk von Vann auf Deutsch zu lesen sein.
David Vann: Im Schatten des Vaters. Roman. Aus dem Amerikanischen von Miriam Mandelkow. Roman. Suhrkamp Verlag. 184 S., geb., 17,90 €.
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