80 Meter Widerstand
Im Stuttgarter Haus der Geschichte ist der erste Bauzaun von Stuttgart 21 zu besichtigen
Nun ist der Protest schon im Museum. 80 Meter Zaun haben die Ausstellungsmacher in den Keller des Stuttgarter Hauses der Geschichte gestellt. Über alle vier Wände schlägt dem Besucher der geballte Protest gegen den Umbau des Kopfbahnhofes in einen unterirdischen Durchgangsbahnhof entgegen. »Lügenpack«, »Mappus weg!«, »Kaputtgart 21 - Ihr baut Scheiße« heißt es da auf handgemalten Plakaten. Ein Grabkranz, auf dessen Trauerbändern »Hier wird die Demokratie begraben« steht, ist ebenso zu sehen wie Fotos von der großen Demonstration am 30. September 2010 im Schlossgarten, bei der die Staatsmacht mittels Wasserwerfern das Fällen von Bäumen durchsetzte.
Der Bauzaun war im Sommer vorigen Jahres am Stuttgarter Hauptbahnhof aufgestellt worden, um den Abriss des Nordflügels des denkmalgeschützten Gebäudes abzusichern. Innerhalb kürzester Zeit war der Zaun mit Protestbildern, Plakaten, Teddybären, Infomaterial zugeklebt. »Das Absperrinstrument, das die Baustelle sichern sollte, ist zu einem Symbol für eine als gestört empfundene politische Kommunikation im Land geworden«, sagt Ausstellungsleiterin Paula Lutum-Lenger.
Das Haus der Geschichte kam relativ früh auf die Idee, dieses Zeugnis der Zeitgeschichte zu sichern. Nach Verhandlungen mit dem Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 wurde der Zaun ab- und nun im Museum wieder aufgebaut. Dort, in dem eher düsteren Kellerraum, verliert der Zaun nichts von seiner beeindruckenden Kraft. Gerade das Handgemachte der witzigen, verzweifelten, anklagenden, aber auch ganz sachlichen Äußerungen gibt einen guten Eindruck der Vielfalt und Entschlossenheit der Protestbewegung. Der Zaun strahlt aber auch ein wenig Nostalgie aus. Wie war ich damals engagiert!, mag sich so mancher Besucher denken. Rund 20 sind an diesem Nachmittag in dem Zaun-Raum und lassen Erinnerungen aufleben. »Ja, genau: Das fand ich immer so gut«, sagt eine junge Frau zu ihrem Begleiter und zeigt auf ein umgestaltetes Baden-Württemberg-Wappen. Dabei wurden die beiden Schildhalter Hirsch und Greif durch Bananen ersetzt, die drei Löwen auf dem Schild durch Gurken. Unterschrift: »Wir können alles. Außer Demokratie.«
Ein paar Meter weiter zeigt ein kleines Mädchen auf ein Foto von der Demo am 30. September vorigen Jahres. Zu sehen ist ein junger Mann, dessen rote Augen mit Wasser ausgespült werden. »Das find ich eklig«, meint die etwa Achtjährige. »Was macht der Mann da?«, will ihr jüngerer Bruder vom Vater wissen. »Der Mann hat Reizgas in die Augen bekommen, und das wird ausgewaschen«, antwortet der. »Kann man davon blind werden?«, wollen die Kinder wissen. »Eigentlich nicht«, lautet die nachdenkliche Antwort.
An vier Terminals können Besucher ausgewählte Exponate vom Bauzaun näher kennenlernen. Da wird zum Beispiel die Aufschrift »Die Bahn gehört dem Volk und nicht den Investoren« erklärt. Sie »kritisiert indirekt die Privatisierung von Unternehmen«, heißt es da. Und: »Im sozialistischen Rechtssystem existiert der Begriff Volkseigentum für Vermögen in öffentlicher Hand.« Ähnlich schlicht sind auch die anderen Erklärungen gehalten. Was auf den halbwegs informierten Zeitgenossen etwas läppisch wirkt, mag Schulklassen jedoch durchaus helfen, manches besser zu verstehen.
Wen es melancholisch stimmt, die Zeugnisse des S21-Protests im Museum zu besichtigen, kann beim Blick ins Gästebuch wieder etwas aufatmen. »Diese Propagandaausstellung gegen S21 ist an Dummheit und Primitivität kaum zu übertreffen«, heißt es da. Der nächste Besucher hat diesen Kommentar spontan mit einem Pfeil versehen, an dessen Ende steht: »außer dadurch«. Ein anderer notiert: »Super Ausstellung! Zeigt, wie viel Zeit manche Leute haben. Hartz IV lässt grüßen.« Die Auseinandersetzung um Stuttgart 21 geht also weiter und ist zudem auf dem neu aufgestellten und schon wieder voll behängten Bauzaun am Bahnhof derzeit auch unter freiem Himmel zu verfolgen.
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