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Schlechter integriert, geringeres Selbstwertgefühl

Schweizer Langzeitstudie entzieht der Sonderschule für sogenannte Lernbehinderte die Legitimation

  • Brigitte Schumann
  • Lesedauer: 3 Min.
Wird die spätere berufliche und soziale Situation von Kindern mit einer »Lernbehinderung« durch schulische Integration oder durch eine separate Unterrichtung besser gefördert? Eine Schweizer Studie bejaht diese Frage.

Wie in Deutschland ist es auch in der Schweiz noch weitgehend üblich, Kinder und Jugendliche mit Lernschwächen zu separieren und in Sonderklassen, oft auch »Kleinklassen« genannt, zu unterrichten. Wer aber in einer Sonderklasse unterrichtet wurde, hat als junger Erwachsener keinen Zugang zu anspruchsvolleren Berufen. Ausbildungsabbrüche und Langzeitarbeitslosigkeit sind charakteristisch für diese Gruppe. So das Ergebnis einer Studie unter Leitung von Urs Haeberlin, emeritierter Professor und ehemaliger Direktor des Heilpädagogischen Instituts der Universität Freiburg (Schweiz). Die Forscher griffen dabei auf Daten zurück, die über einen Zeitraum von zwölf Jahren erhoben wurden.

Schülerinnen und Schüler mit Lernschwäche, die in Regelklassen lernen konnten, finden demnach leichter Anschluss an eine berufliche Ausbildung. Während drei Jahre nach der Schulzeit 25 Prozent der ehemaligen Abgänger aus Sonderklassen keinen beruflichen Zugang gefunden haben, sind es bei der Vergleichsgruppe lediglich 6 Prozent. Integrierte Schulabgänger haben sogar gewisse Chancen auf eine Ausbildung im mittleren oder höheren Segment der beruflichen Ausbildung.

Im Vergleich zu ehemaligen integrierten Jugendlichen aus Regelklassen sind ehemalige Schülerinnen und Schüler aus Sonderklassen zudem schlechter sozial integriert. Ihr Selbstwertgefühl ist wesentlich geringer. Sie verfügen über ein bedeutend kleineres Beziehungsnetz. Schulische Integrationserfahrungen tragen ebenfalls dazu bei, dass die jungen Erwachsenen eine deutlich positivere Einstellung gegenüber Ausländern entwickelt haben. Ausländerfeindliche Tendenzen macht die Studie bei den jungen Erwachsenen aus, die in Sonderklassen unterrichtet wurden.

Die bildungspolitische Schlussfolgerung der Schweizer Forscher ist eindeutig: Eine Abschaffung der Sonderklassen ist unumgänglich! »Mit der Einweisung von sozial benachteiligten Kindern und Jugendlichen in Sonderklassen für Lernbehinderte wird Chancengerechtigkeit verhindert. Die Etikettierung der von Chancenungerechtigkeit betroffenen Kinder und Jugendlichen als Lernbehinderte verschleiert den Aspekt der sozialen Benachteiligung«, betonen die Wissenschaftler

Das Ergebnis ist auch für die deutsche Debatte um die Abschaffung von Sonderschulen von Bedeutung. Die Bundesländer haben bislang mehrheitlich bekundet, dass sie neben der Ermöglichung von inklusiver Bildung im allgemeinen Schulsystem für alle Förderschwerpunkte auch an dem Sonderschulsystem festhalten wollen. Dementsprechend gehen auch die Empfehlungen der Kultusministerkonferenz (KMK) zu inklusiver Bildung von einer Pluralität der Förderorte aus. Eltern von Kindern mit Lernproblemen soll ermöglicht werden, zwischen einem gemeinsamen Unterricht in der allgemeinen Schule und der Sonderschule für Lernbehinderte, jetzt Förderschule mit dem Förderschwerpunkt Lernen genannt, zu wählen. Die KMK missachtet damit aber die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Diese verlangt eindeutig strukturelle und konzeptionelle Maßnahmen zur Abschaffung des Sonderschulsystems und die verbindliche Anerkennung des subjektiven Rechts der Kinder mit Behinderungen auf gemeinsames Lernen in der allgemeinen Schule.

Die Autorin ist Publizistin und Bildungsjournalistin und verfasste ihre Dissertation über die Sonderschule als »Schonraumfalle« für Lernbehinderte.

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