Verantwortung muss man sich leisten können

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 2 Min.
Karikatur: Christiane Pfohlmann
Karikatur: Christiane Pfohlmann

Die Idee ist denkbar einfach: Wer arm ist, dem wird nicht geholfen, sondern der muss sich Hilfe beantragen. Das nennt man Eigenverantwortung und wer soll schon etwas gegen mehr Eigenverantwortung haben? Nach gut einem Jahr hat knapp die Hälfte der Leistungsberechtigten einen Antrag auf Finanzhilfe aus dem sogenannten Bildungs- und Teilhabepaket gestellt. Man kann das, wie die Bundesregierung es vor dem Hintergrund der Anfangs noch viel niedriger Antragsquoten tut, als Erfolg verkaufen Damit aber wird verdrängt, dass mehr als die Hälfte der Bedürftigen keinen einzigen Antrag gestellt hat; nicht einmal den Zuschuss für die Klassenreise wollen viele Hartz-IV-Empfänger anscheinend haben.

Das ist die Wahrheit, aber nur die, die öffentlich sichtbar ist und für manche Politiker als Begründung dafür herhalten muss, dass die Not in Deutschland ja so groß nicht sein könne. Die Wahrheit in dieser Wahrheit ist folgende: Die öffentlichen Ausgaben für Bildung und Familien sind in kaum einem anderen Industrieland so hoch wie in Deutschland. Laut einer aktuellen Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) betragen sie 146 000 Euro für jedes Kind bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres, der OECD-Schnitt liegt bei knapp 124 000 Euro. Hierzulande wird aber weniger auf den Ausbau der Infrastruktur gesetzt. Stattdessen wird Familienförderung mittels Steuerrecht betrieben und an die Eigenverantwortung der Bürger appelliert. Davon profitiert in der Regel die obere Mittelschicht, die sich Eigenverantwortung wortwörtlich leisten kann. Genau an diesem Widerspruch scheitert letztlich die Idee, Armut per Gutscheinsystem zu bekämpfen.


Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -