PLATTENBAU
Was BAP für die Kölner, ist Hubert von Goisern für die Österreicher. Anders gesagt, beide eint: Wir anderen verstehen - nix. Oder jedenfalls nicht so sehr viel. Wer den Dialekt aus dem Salzkammergut aber mag, ist bei Hubert von Goisern erst mal richtig. Denn die Texte sind wichtig. Und die Musik? Schwer zu sagen, was da überwiegt: Blues, Rock, Volksmusik aus den heimatlichen Alpen - die vor allem -, Balkan-Pop, Funk und Klänge von weit, weit her. Ein verwegener Mix, verwegen wie der ganze Bursche.
Hubert Achleitner aus Goisern war Chemielaborant in Südafrika, das ist schon eine ganze Weile her, in Kanada verkaufte er Skier, in Bad Ischl arbeitete er im Salzbergwerk. Und dann, in den späten 80ern, gründete er die Alpinkatzen (bis 1994). Was er zusammen mit dieser Truppe (aus sich) herausbrachte, da fielen allen glatt die Ohren ab. Der Siegeszug begann. Jetzt ist mit der Platte »Entwederundoder« die 20. Veröffentlichung von Goiserns erschienen, wie ein Musikkritiker durch Addition auch der DVDs und Live-Konzertmitschnitte errechnet hat. Sie ist eine »Mutprobe« gewesen, sagt der Weltmusikpreisträger (im Juli erhielt er in Rudolstadt die »Ruth«), denn er öffnete »der Einfachheit die Tür«.
Nach den 60 Konzerten und dem enormen Drum und Dran der Linz-Europa-Tour zwischen 2007 und 2009, mit einem umgebauten Lastkahn, einer riesigen schwimmenden Bühne, von Linz aus auf der Donau bis zum Schwarzen Meer, auf Rhein und Neckar bis zur holländischen Küste, nach also dieser Schiffs- und Musikreise mit vielen Gästen und den daraus folgenden zwei Alben mit großer Besetzung besann er sich wieder ganz auf sich. »Entwederundoder« ist intim in seinen Geschichten wie einst seine Lieder »Goisern« (1994) oder »Weit, weit weg« (1995), musikalisch weniger spektakulär als beispielsweise das Pop-Gewand gekleidete »Koa Hiatamadl«, mit dem von Goisern samt seiner Alpinkatzen 1992 die österreichische Hitparaden-Nr.-1. wurde. Dazumal bislang unvorstellbar: Der Alpenrock erlebte Sternstunden.
Die Instrumentierung der neuen Platte besteht wie immer aus seiner steirischen Ziehharmonika, der er dann und wann die höchsten, schräg-fiepsigen Töne entlockt - eine Art, für die er berühmt ist, die reinsten Katzenohrfrequenzen, die durchs Ohr ins Gehirn bis in die Haarwurzeln blitzen, dass einem der Schopf zu Berge steht. Außerdem gehören Schlagzeug, Bass, Gitarre, Klavier zur vergleichsweise reduzierten Besetzung und, ja, bei von Goisern zu erwarten: Kuhglocken sowie eine Maultrommel.
So gibt sein Zerrwanst mal den gemütlichen Rheinländler. Ein andermal geht's durch indianischen Urwald mit einem Tempo und Gewummer, als werde die Handlung eines Action-Films vorwärtsgejagt. Im Gesang springt der mittlerweile 58-Jährige bei Bedarf auch mal ganz hoch ins Jodelfalsett - ein Reiz, dessentwegen man von Goisern immer wieder und nicht genug bejubeln kann. Und wo's sein muss, schreit er, ein Schreien hin zum Echo der Berge. Oder aber er setzt das sphärische Schweben ein, wie es kein anderes Instrument als das Akkordeon hervorzubringen vermag (im Instrumental »Über-Unter-Ober-Österreicher«) - die Bässe und die Drums immer am Rhythmusgeben, damit sich auch ja niemand verfliegt -, und bringt es zum Kontrast mit der Bassgitarre, und wer das hier liest und daher glaubt, diese Kombination läuft auf Kitsch hinaus, irrt sich.
Schlicht, von unerwarteter Einfachheit mancher Text - elf Titel bietet die Platte. »I versteh' di net, dafür bin i zu bled« - aber nein, dieser Reim klingt hier ganz und gar nicht lächerlich, der Moment der spannungsvollen Zweierbeziehung, der in diesem Lied erzählt wird, ist so am besten erfasst. »Heidi, halt mi ..., Heidi g'freu di«, tja, das ist eben Anbaggern auf Alpenländisch. Liebesballaden, schön und gut, Lautes, Leises, Großes und Kleines. Selbstverständlich aber: Man hört auf »Entwederundoder« wieder ganz deutlich, dass Hubert von Goisern - wenngleich sonst meist zart und poetisch im Ausdruck - ein glasklarer politischer Mensch ist. Nicht umsonst als Eingang gewählt, das Lied, das den Wahnsinn der Energiegewinnung aus Mais und Weizen anprangert: »Brenna tuat's guat«, das Geld nämlich. Es wächst nicht auf den Wiesen und man kann's nicht essen, aber es brennt gut, und wenn wir lange so weiter heizen, brennt der Hut.«
Auch »Brenna tuat's guat«, aus der Platte ausgekoppelt, setzte sich ganz schnell an die Spitze der österreichischen Charts. Live zu erleben ist Hubert von Goisern ab 2012 in 100 »Entwederundoder«-Konzerten (am 12. März in Berlin). Vielleicht ein Abschied. Schade, sehr schade wär's.
Hubert von Goisern: Entwederundoder (CCAPRIOLA 7 Blanko Music/ Sony Music)Das »nd« bleibt gefährdet
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