Alles harmlos, sagt der Geheimdienst
Wird der Verfassungsschutz von Regierungen gegen die LINKE instrumentalisiert?
Die Überwachung der LINKEN sei rechtmäßig, »weil sich in ihr Kräfte sammeln, die eine Veränderung der bisherigen Staats- und Gesellschaftsform wollen«, sagte ein Sprecher des Innenministeriums am Montag. Auch das im vergangenen Jahr verabschiedete Parteiprogramm der aus PDS und WASG hervorgegangenen LINKEN rechtfertige Überwachung. Regierungssprecher Steffen Seibert meint, es sei gut, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz seiner gesetzlichen Aufgabe nach komme.
Ist es nur ein Verdacht, dass die Regierung mit Hilfe des Verfassungsschutzes versucht, Oppositionelle öffentlich zu stigmatisieren? Dass die Überwachung eine derbe Einschränkung von demokratischer Teilhabe und parlamentarischer Arbeit ist, kann niemand bezweifeln. Seit die damalige PDS in den Bundestag einzog, hegt der Verfassungsschutz den traditionellen Verdacht, dass es in der linken Partei, die von Honeckers SED her kam, »Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung... gerichtet sind«, gibt. Paragraf 3 des Bundesverfassungsschutzgesetzes beauftragt den Geheimdienst, Informationen, insbesondere Sach- und personenbezogene Auskünfte, Nachrichten und Unterlagen zu sammeln und auszuwerten, um Anschläge gegen das Grundgesetz zu vereiteln.
Seit über 20 Jahren hat der Verfassungsschutz - unter verschiedenen Regierungskoalitionen - die Abgeordneten der LINKEN und ihrer Vorgängerin nun schon »auf dem Kieker«. Nicht nur 27, wie gestern gemeldet wurde. Gegen die Beobachtungspraxis von Abgeordneten regt sich seit langem Widerspruch im Parlament. Denn: Die nachrichtendienstliche Beobachtung beschränkt die politische Arbeit von Parlamentariern. Es gab und gibt Zweifel, dass die Abgeordneten ihre Wahlfunktion frei und unabhängig wahrnehmen können. Wie zwanglos können Bürger noch mit ihrem Volksvertreter umgehen, wenn der vom Geheimdienst beschattet wird?
Im Sommer 2006 hatte die Grünen-Fraktion einen Antrag zum Schutz des freien Mandats eingebracht. Danach sei eine konstitutive Zustimmung des Bundestages vor einer geplanten Beobachtung von Abgeordneten durch Geheimdienste notwendig. Das wäre eine transparente, der Immunitätsaufhebung ähnliche Prozedur. Die Initiative wurde nicht einmal in Ausschüsse überweisen, sie versickerte einfach.
Ein weiterer Antrag, die Bundesregierung zur Einstellung der Überwachung aufzufordern, sowie ein Gesetzentwurf zur Einführung einer Mitteilungspflicht der Beobachtung an den Parlamentspräsidenten sind im Mai 2009 abgelehnt worden. Statt dessen entschied das Bundesverwaltungsgericht am 21. Juli 2010, die Erhebung von Informationen über Bundestagsabgeordnete durch den Verfassungsschutz mit Mitteln der sogenannten offenen Informationsbeschaffung sei zulässig. Wohl sahen die Richter einen Eingriff in die Arbeit von Abgeordneten, doch sie beriefen sich auf Artikel 46 des Grundgesetzes. Der sieht eine Genehmigung des Bundestages nur für die Einleitung eines Strafverfahrens gegen Abgeordnete und sonstige freiheitsbeschränkende Maßnahmen vor.
Juristen stellen sich immer die Frage der Verhältnismäßigkeit. Die Dauerbeobachtung der Linksfraktionsmitglieder brachte nicht den Hauch eines Beleges, der einen Umsturzverdacht stützt. Um die Angemessenheit der Beobachtung zu prüfen, muss man zudem einzelfallbezogen abwägen. Wie bitte soll das gehen, wenn die ganze Fraktion in den Geheimdienstdateien »verschwindet«? Selbst wenn es sich »nur« um 27 Abgeordnete handeln sollte, so müsste die Behörde - oder besser das vorgesetzte Bundesinnenministerium von Hans-Peter Friedrich (CSU) - Einzelfallprüfungen plausibel vermitteln können. Offenbar handelt es sich bei den Beobachtungssubjekten jedoch um eine willkürliche und traditionelle Auswahl fast ausschließlich Ostdeutscher.
Willkür? Ja. Ein Beispiel: Peter Ritter, innenpolitischer Sprecher der Schweriner Linksfraktion, wird nicht beobachtet. Er trifft sich öfter mit dem unter Bundesbeobachtung stehenden Landesvorsitzenden Steffen Bockhahn. Siegt da Bundes- über Landesrecht?
Apropos Bockhahn. Es ist schon eine absurde Praxis, wenn jene, die Sicherheits- und Geheimdienstbehörden parlamentarisch begleiten sollen, selbst von Geheimdiensten und Sicherheitsbehörden kontrolliert werden. Der Bundestagsabgeordnete Bockhahn sitzt im Vertrauensgremium, das geheimzuhaltende Haushalte - also auch die der Nachrichtendienste - betreut. Die Mitglieder des Gremiums werden genau wie die Mitglieder des PKGr gesondert vom Bundestag gewählt. Und trotz dieses doppelten Vertrauensbeweises durch Wähler und Abgeordnete schnüffelt der Verfassungsschutz in Bockhahns Leben.
Der Verfassungsschutz verharmlost, er verwende keine nachrichtendienstlichen Mittel. Stimmt das? 2009 mochte die Regierung nicht ausschließen, dass sich in den Papieren des Bundesamtes »im Einzelfall mit nachrichtendienstlichen Mitteln gewonnene Informationen befinden«.
Der Geheimdienst bezieht sich immer nur auf Abgeordnete. Dass der er immer wieder mit Erfolg versucht, V-Leute in die LINKE zu schleusen, ist bekannt. Wie gefeit sind davor Abgeordneten- und andere Parlamentsbüros? Und was kann man dem Verfassungsschutz eigentlich noch glauben? Schließlich haben die Geheimdienstler auch stets behauptet, auf dem rechten Auge nicht blind zu sein.
Außer Kontrolle - auch in NRW
Eigentlich wollten man hauptsächlich ein von der nordrhein-westfälischen Linksfraktion herausgegebenes Büchlein mit dem doppelsinnigen Titel »Außer Kontrolle« vorstellen. Doch dessen Thema - »Wie der Verfassungsschutz die Verfassung bedroht« - hatte urplötzlich neue Aktualität gewonnen. Und so forderte MdL Anna Conrads gestern in Düsseldorf Landesinnenminister Ralf Jäger auf, etwaige Bespitzelungen von nordrhein-westfälischen LINKE-Abgeordneten offen zu legen.
Elf LINKE-Parlamentarier aus den 16 deutschen Landesparlamenten werden überwacht. Welche es neben dem Thüringer Bodo Ramelow sind, ist nicht nur an Rhein und Ruhr ein Geheimnis.
Katharina Schwabedissen, Landessprecherin der NRW-LINKEN, erinnerte daran, dass ein Antrag ihrer Fraktion, alle V-Leute im Land abzuschalten, unlängst von allen anderen Fraktionen abgelehnt wurde. Schwabedissen legte dar, dass der NRW-Verfassungsschutz auch einen Zuhälter, Drogen- und Waffenhändler als V-Mann rekrutierte, ferner einen hohen NPD-Kader, der seine Honorare von 400 000 Euro in den Parteiaufbau investiert haben will. »Hier wurden offenbar staatlicherseits rechte Strukturen finanziert«, monierte die Politikerin. Marcus Meier
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