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Heiterkeit?
Die Novelle »Das Konzert« von Hartmut Lange
Max Liebermann blickt hinüber zum Platz der Republik. So gehen die Toten durch der Lebenden Welt. In Hartmut Langes Novelle »Das Konzert« (1986) ist der Maler - gestorben, doch keineswegs tot - befreundet mit Frau Altenschul, die in Berlins vornehmer Villengegend zu musikalischen Abenden einlädt. Frau Altenschul ist den »schönen Dingen des Lebens zugetan«, muss aber viel Mühe darauf verwenden, »ihr erbärmliches Ende zu vergessen«: die Ermordung, den verdrehten Kopf im Massengrab. Eine Vernichtete. Wie der junge Pianist Lewanski, der bei ihr auftritt: in Litzmannstadt von Nazis erschossen.
Die Ermordeten treten in ihr Recht, das ihnen geraubte Dasein weiterzuführen. Lange, der bedrängende Novellist existenzieller Unausweichlichkeiten, beschreibt den Versuch dieser Toten, sich nun, da sie mit Sterben längst fertig geworden sind, auch den ungelebten Erfahrungen hinzugeben. Sie mussten eine grausame Ordnung des Daseins erleiden, nun versetzen sie sich in die geheime Unordnung eines Lebens, das sie nie haben durften. Begegnungen, auch mit Tätern.
Lewanski etwa wird von seinem Mörder verfolgt, einem Schatten, der ihn bedrängt, er wird ihn stellen, auf ihn einschlagen, auch der: ein Toter, Lewanski erschrickt im Blitz einer Sekunde über die Heftigkeit, mit der er noch als Gestorbener den Kreislauf von Gewalt und Hass mit antreibt. Als befände er sich noch immer in unserer Welt.
Dies wehe Stück Literatur spielt die Unmöglichkeit eines Verzeihens ebenso durch wie die Spendenkraft eines Friedens, der auf gegenseitiger Erlösung von Tätern und Opfern besteht. Es mutet bei Lange mitunter an, als verwandle sich das Opfer nach dem Gestorbensein in seinen Töter - und riefe mit dessen Stimme um Hilfe. Das ist er, dieser unglaubliche Frieden. In der Realität unserer landläufigen Grenzziehung von Verbrechen und Strafe, Verachtung und Gedenken bleibt das eine Zumutung. Worauf die Kunst als herzensbildende Überschreitungspraxis aber unbedingt bestehen muss.
Auch in einer anderen Novelle Langes, »Die Heiterkeit des Todes«, erschien das Totenreich als Vorstellungsraum für eine wahrlich grenzenlose, radikale Fantasie: Ein SS-Mörder und eine ermordete Jüdin werden im gemeinsamen Tod zum Liebespaar. Die Transzendenz zieht ihre unsichtbaren Uhren auf, die ganz andere Zeit bricht an, und ein Raum öffnet sich, in dem gleichsam die Windrose schläft - mit ihrer Erinnerung an erledigte Stürme einer unbarmherzigen Realität. Aber immer bleibt doch die tiefe Trauer, dass man nicht älter wird als derjenige, als der man starb oder verreckte. Just deshalb attackiert Literatur mit aller nur verfügbaren Vorstellungskraft jene Vergewaltigung, die fortwährend Feinde und Furchtbarkeit schafft und sich Geschichte nennt.
In einer faszinierend lakonischen, sogkräftigen Sprache - die zuvörderst Abläufen folgt, ehe sie Ausleuchtungen vornimmt - bringt Lange auf den Punkt, was uns tagtäglich, mehr noch nachtnächtlich widerfährt: Unser Bewusstsein ist bevölkert von einem verwirrenden Strom der Gestalten, die eine Unterscheidung in Leben und Tod, Jugend und Alter, Gegenwart und Vergangenheit, Opferschaft und Täterschaft nicht kennen. Die Heimsuchung ist unser anderes Zuhause. Anwesenheit kennt keinen Stillstand.
Der Geist von Hamlets Vater ist der berühmteste Untote. Stellen wir uns vor, er hätte Hamlet, dem Sohn, den Rachedruck erspart. Hartmut Lange tut es. In seiner erschütternden Novelle treffen Getötete im Drübenreich aufeinander, gegen die Verdammnis, Gut und Böse auf ewig fortzuschreiben. Vielleicht ist die Kunst jene einzige Instanz, die vom Tode freispricht, weil sie alle Fragen an das elende Leben so wahrhaftig beantwortet. Jeder Tote wartet auf die Vollkommenheit seines zerbrochenen Lebens, aber das ist eine Wiederauferstehung, die ihm nur der Dichter bieten kann. Sie ist etwas Heiliges inmitten der profanen Logik der Materie.
Hartmut Lange: Gesammelte Novellen zwei Bände, Diogenes Zürich, 34,90 Euro
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