FLUCHT! Wohin? - In die Landschaft!
Otto Dix in Chemnitz
Doch es gibt noch eine weitere Gelegenheit für eine ergiebige Auseinandersetzung mit Dix. Die Sammlung Gunzenhauser in Chemnitz verfügt mit 278 Arbeiten über das weltweit größte Konvolut überhaupt in einem Museum. Mit großer Akribie hat Kurator Thomas Bauer-Friedrich Dix‘ enge und nachhaltige Verbindungen zu Chemnitz recherchiert - in bedrängter Zeit. Denn seine Kontakte zum »sächsischen Manchester« setzten unmittelbar ein, nachdem die Nationalsozialisten Dix im April 1933 von seiner Professur an der Dresdner Kunstakademie enthoben hatten. Zwei Chemnitzer Familien - der angesehene Kinderarzt Otto Köhler mit seiner Frau Paula sowie der Margarinefabrikant Fritz Niescher mit seiner Frau Ursula - unterstützen ihn durch Ankäufe und Zuspruch.
Eine Sensation stellt dabei die Rekonstruktion des Wandgemäldes » Orpheus und die Tiere« dar, das Dix 1938 für den Gartenpavillon der Nieschers schuf. »Die lange Beziehung von Dix zu Chemnitzer Sammlern zeigt, dass die Stiftung des Münchner Sammlers Dr. Alfred Gunzenhauser mit ihren Dix-Werken gerade in dieser Stadt seit 2007 ihren richtigen Platz gefunden hat«, freut sich Ingrid Mössinger, Generaldirektorin der dortigen Kunstsammlungen.
Als sich Dix infolge des Bannfluchs der Nationalsozialisten nach einer neuen Bleibe umsah, fasste er den Beschluss zum Umzug nach Schloss Randegg bei Singen im Hegau, jener Landschaft zwischen Bodensee, Hochrhein und Donau. Dabei handelte es sich um ein Besitztum des ersten Mannes seiner Frau Martha (1895-1985). Eine delikate Angelegenheit mithin, überdies verlor der Künstler sein angestammtes Biotop des Großstadtmilieus sowie last not least die finanzielle Grundlage.
Entsprechend beklagt er sich 1933 im neuen Domizil: »Ein schönes Paradies. Zum Kotzen schön. (…) Die Schönheit der Natur, in die ich verbannt bin. Ich gehöre doch gar nicht dahin (...) ich müsste in der Großstadt sein.« Und hellsichtig zeigt er sich ein Jahr später in einem Brief an den New Yorker Kunsthändler Israel Ber Neumann: »Die Verkäufe und Aufträge haben seit nunmehr 1 Jahr gänzlich aufgehört. Es wird wahrscheinlich auch in den nächsten 10 Jahren nicht besser werden.«
Andererseits: Obgleich Dix Mal- und Ausstellungsverbot hatte, habe er »von Aufträgen leben können«, beteuert der noch heute im Westerwald aktive Informel-Künstler K.O. Götz (geb. 1914), der ihn 1940 in Dresden besuchte. Sogar Reichaußenminister Ribbentropp soll Biograf Löffler zufolge Dix einen Auftrag erteilt haben, den dieser jedoch ablehnte.
Fortan versenkt er sich vor allem in das Porträtieren der pittoresken Hegau-Panoramen mit ihren markanten vulkanischen Bergkegeln. In der Ausstellung entfalten sich nun altmeisterliche, an Altdorfers Donauschule gemahnende Landschaften vor unseren Augen: Wir blicken von erhöhtem Standpunkt aus in eine Abendstimmung in Randegg. Minuziös hat er das Tableau zuvor in einer Tuscheskizze vorbereitet. Freilich geht es hier nicht immer so lieblich zu: So dräuen gewaltige Wolkenmassen über seiner »Düsteren Landschaft« aus dem Jahre 1940, die unverkennbar ein Spiegelbild der Kriegskatastrophe ist. Gefragt, warum er nicht Deutschland verlassen habe, antwortet er: »Es war eine richtige Flucht, eine Flucht in die Landschaft. (…) die Emigration war nicht meine Sache. (…) Ich wollte nichts wissen vom ganzen Krieg. Ich wollte nur meine Ruhe haben.«
Als Kuriosum zeigt Chemnitz die Publikation »Der Säugling«, welche Kinderarzt Köhler als Handreichung für junge Mütter verfasst hatte, und welche 1935 bereits in der 8. Auflage vor allem in Sachsen im Umlauf war. Das nun in Dresden zu sehende Porträt seines soeben geborenen Sohnes Ursus (1927) hatte Dix in einer detaillierten Federzeichnung vorbereitet, die er 1948 in eine nur leicht variierte Rötelzeichnung übertrug. Diese gehörte zu Köhlers Sammlung und zierte fortan den Schutzumschlag der nachfolgenden Ausgaben des Säuglingsbuches, das zuletzt 1963 in der 20. Auflage erschien. Ein zauberhaftes Gästebuch bezeugt häufige Besuche von Dix und Familie bei dem Chemnitzer Arzt. Er stellt sich als Maler dar oder fertigt Selbstporträts an.
Auch als Tierzeichner konnte sich Dix 1938 bewähren. Margarinefabrikant Niescher beauftragte ihn, für seinen Garten-Pavillon das Wandfresko »Orpheus und die Tiere« zu erstellen. Leider wurde das Gebäude bei der Bombardierung von Chemnitz am 5. April 1945 unwiederbringlich vernichtet. Doch haben sich Fotografien der Anlage erhalten wie auch lebensgroße Kartons sowie Skizzen für die Menagerie, die Orpheus mit seiner Musik besänftigen sollte.
So lassen sich nun die verschiedenen Gemütszustände eines Löwen ebenso studieren wie ein (noch) keifendes Wildschwein, ein kraftvoller Adler oder eine soeben gezähmte Hyäne. Auffallend ist, dass Orpheus auf keiner der Dix-Studien die traditionelle Lyra hält, obgleich seine erhobenen Hände das Instrument erwarten ließen. Er singt also nicht zur Musik, sondern spricht, wie der leicht geöffnete Mund erkennen lässt. Dieses Detail verbindet Dix‘ Orpheus ikonografisch mit dem heiligen Franziskus. Die mönchische Abgeschiedenheit des Franziskaners konnte er im abgeschiedenen Hegau gut nachvollziehen, musste sie notgedrungen selber durchstehen.
Seine Lage hatte sich nochmals verschärft angesichts der durch Deutschland tourenden Wanderausstellung der »Entarteten Kunst« für ihn, in der 67 Arbeiten des Malers bloßgestellt worden waren. Spätestens jetzt bedeutete es für jeden Galeristen in Deutschland ein Wagnis, Dix auszustellen. Auch seine zwischen 1938 und 1944 geschaffenen Darstellungen des Christophorus, von denen die erste der Unternehmer Niescher erwarb, unterstreichen wie Orpheus/ Franziskus, selbst in finsteren Zeiten und Fährnissen nicht den Mut fahren zu lassen und seine Ziele im Blick zu behalten. Unter eine Christophorus-Zeichnung im Gästebuch des Dr. Köhler notiert Dix 1938: »Er diente dem Stärksten -/ dem Geist.«
»Otto Dix in Chemnitz« bis zum 15. April im Museum Gunzenhauser in Chemnitz, Katalog.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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