Die unangebrachte Milde von Strafgerichten
Der Bundesgerichtshof urteilte, dass bei massiver Steuerhinterziehung eine Haftstrafe nicht auf Bewährung ausgesetzt werden darf
Es hat etwas Rebellisches an sich, beim Ausfüllen der Steuererklärung den Staat ein bisschen an der Nase herumzuführen. Selbst manch ansonsten notorisch gesetzestreuer Bürger macht mal eine falsche Angabe zur Entfernungspauschale, reicht eine private Quittung ein oder verschweigt dem Finanzamt eine kleine Zusatzeinnahme. Da viele schummeln, wird dies noch immer als Kavaliersdelikt empfunden. Diesen Eindruck haben die Steuersenkungspolitik der Regierungen Schröder und Merkel sowie von diesen beschlossene Amnestieregeln verstärkt, nach denen sich die Steuerhinterzieher innerhalb einer bestimmten Frist selbst anzeigen konnten, um mit Nachzahlungen und Geldbuße davonzukommen. Dabei geht es hier um eine Straftat, die laut Gesetz mit bis zu zehn Jahren Gefängnis zu ahnden ist.
Natürlich kann der normale Steuerzahler, der vor allem Lohnsteuer zahlt, die der Arbeitgeber direkt an das Finanzamt abführt, nur ein paar Euro herausmogeln. Bezieher von Vermögenseinnahmen dagegen haben ganz andere Möglichkeiten - etwa große Summen in Steueroasen vor dem deutschen Fiskus zu verstecken oder zu komplizierten Steuersparmodellen zu greifen. Diesen Unterschied soll auch die Justiz machen: Im Jahr 2008 hatte der Bundesgerichtshof (BGH) in einem Grundsatzurteil entschieden, dass bei Steuerhinterziehung in Millionenhöhe nur unter besonderen Umständen eine Strafe zur Bewährung ausgesetzt werden kann. Staatsanwälte gehen heute massiver als früher gegen mutmaßliche Steuerhinterzieher vor. Wegen des Bankgeheimnisses haben sie freilich nur selten Ermittlungsansätze - die Steuer-CDs von Mitarbeitern Schweizer Geldhäuser waren daher ein Glücksfall.
Und Gerichte lassen noch immer allzu oft Milde walten. Am spektakulärsten war sicher der Fall von Ex-Post-Chef Klaus Zumwinkel, der wegen Steuerhinterziehung von rund einer Million Euro über eine Liechtensteiner Stiftung zu einer Geldstrafe und zwei Jahren Haft verurteilt wurde - auf Bewährung.
Ein ähnlich gelagerter Fall beschäftigte am Dienstag wieder den BGH, der nun seine Rechtsprechung konkretisieren musste. Die Staatsanwaltschaft war gegen ein Urteil des Landgerichts Augsburg in Revision gegangen, das einen geständigen Angeklagten im April 2010 wegen Steuerhinterziehung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren mit Bewährung verurteilte. Er hatte im Jahr 2001 Anteile an zwei Firmen an ein drittes Unternehmen verkauft. Von diesem erhielt er zusätzlich zum Verkaufspreis Aktien im Wert von 7,2 Millionen DM, weil er seine Mitgesellschafter ebenfalls zum Verkauf bewegt hatte. Diese Summe deklarierte der Angeklagte fälschlicherweise als Veräußerungserlös, wofür erheblich niedrigere Steuern fällig waren. Die Ersparnis betrug mehr als 890 000 Euro. Fünf Jahre später übte sich der Angeklagte erneut in kreativer Steuererklärung. Er verzichtete zum Schein auf fällige Tantiemen für seine Tätigkeit als Geschäftsführer und schenkte das Geld seiner Ehefrau sowie seinen Kindern. Die Schenkungsteuer war um 240 000 Euro niedriger als die eigentlich fällige Lohnsteuer.
Der BGH folgte nun dem Antrag der Staatsanwaltschaft und hob das Urteil des Landgerichts auf. Dessen Strafzumessung weise »durchgreifende Rechtsfehler zu Gunsten des Angeklagten« auf, urteilten die Karlsruher Richter in ungewöhnlicher Schärfe. Strafverschärfende Gesichtspunkte wie das Zusammenwirken mit dem Steuerberater beim Erstellen manipulierter Unterlagen seien nicht angemessen berücksichtigt worden. Grundsätzlich, so das BGH, gelte, dass eine Bewährungsstrafe »nur bei Vorliegen besonders gewichtiger Milderungsgründe« noch in Betracht komme. Das Landgericht muss das Strafmaß nun neu festlegen. (Az: 1 StR 525/11) Die Botschaft der obersten Richter ist also klar: Große Steuerhinterzieher gehören in den Knast. Nur werden sie selten gefasst ...
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