Wundersam hochgepunktet
Zum heutigen 80. Geburtstag des großen deutschen Malers Gerhard Richter
Wenn ein Weltstar achtzig wird, fliegen einem die Superlative um die Ohren. Gerhard Richter? Künstlerisches wird politisch eingefärbt. Was wird als Vita verbreitet? Da musste er schon zur Studienzeit Wandbilder im »Stil des Sozialistischen Realismus« malen! Der expressive Chaot Heinz Lohmar und der grundsolide Bühnengestalter Karl von Appen als seine damaligen Lehrer passen in dies abwertende Schema genauso wenig wie die zur gleichen Zeit dort lehrenden Meister Max Schwimmer und Hans Theo Richter.
Die von Assistenten wie Franz Tippel gefertigten riesigen naturalistischen Stalinporträts gehörten zum Glück nicht zum Studienprogramm, sondern waren Lohnarbeit bei der Parteifirma DEWAG. Während der Kunststudent Bernhard Heisig in Leipzig selbst Agitationstafeln für die Hochschulaußenfassade recht eigenwillig gestaltete, fasste sein Dresdner Studienkollege Richter ähnliche Aufgaben sehr viel braver auf.
Dass sein Name heute in einer Kunstwelt der Scharlatane als großartiger Inbegriff gediegener Professionalität gelten kann, verdankt er unter anderem der vergleichsweise endlosen Studienzeit von 13 Jahren. Denn nach dem Diplom 1956 ging er als Meisterschüler an die Akademie der Künste Berlin. Was seine zeitgeist-gefälligen Biografen als »Flucht« bezeichnen, war die mühelose Ausreise im Februar 1961, zu der ihm sein Künstlerfreund Wieland Förster noch den Koffer trug.
Richters hübsche blonde Frau Ema verfügte auf der attraktiveren Seite dieser geteilten Welt über das fast feudal zu nennende, von der Wiener Straße in Dresden längst westwärts verlegte Elternhaus des Star-Gynäkologen und SS-Obersturmbannführers Heinrich Eufinger. Satanische Verfehlung, reumütige Buße und endlicher Triumph dieser Persönlichkeit gäben ein Sujet für einen Politkrimi her. Bis heute so gut wie ungemalt. Denn der Weg des auf eigensinnige Weise immer sanft und nachsichtig gestimmten Temperaments Gerhard Richter mündete im elitär-schrägen Milieu Düsseldorfs. Das wurde »seine« Akademie. Die Professoren Götz und Macketanz gaben binnen drei Jahren dem Talent des umtriebigen Sachsen den letzten Schliff.
1963 rief dort der witzbetonte Sigmar Polke mit ihm einen »Kapitalistischen Realismus« aus. Der Schlesier und der Sachse testeten ihren dortigen Marktwert. Sie waren mit dem geborenen Leipziger Peter Heisterkamp, mit Georg Kern aus der Lausitz und Ralf Winkler aus Dresden Spitze einer respektablen Ostinvasion im rheinischen Kulturbetrieb. Der vergleichsweise beliebige Name Richter blieb, während die andern sich marktgerecht Blinky Palermo, Georg Baselitz und A.R.Penck nannten. Die Aktivitäten dieser der Gewalt schrecklicher Ostkunst Gewichenen machen bis heute von sich reden. Der Unterschied zwischen sagenhaft tollen Sachen und absoluten Fehlleistungen war kaum je so groß wie bei den Genannten.
Richter startete ohne jede andere Farbe ganz in grauweiß. So raffiniert dies Understatement wirkte, es bezog sich in grandioser Weise aufs Milieu, aus dem er kam. Stichwort: graue DDR. 1964 wirkte er in seiner ersten Ausstellung »Fotobilder, Portraits und Familien« ohne jede vollzogene Einschüchterung geradezu verschüchtert. Der Künstler hatte begonnen, Zeitungs- und sonstige Fotos in der Mappe »Atlas« zu sammeln, und nur einiges davon nachzumalen. Skizzen? Zeichnungen? Unbekannt. Als 1997 die Documenta Kassel das großenteils noch unbearbeitete Quellenmaterial zur Bewunderung vorzeigt, zählt es schon 5000 Stück.
Während in den 70er Jahren um Dresden und Leipzig wilde Expressivität zu blühen beginnt, hier absolutes Stillhalten. Ein schöner Kontrast eigentlich - wenn wir uns nur angewöhnen könnten, das endlich mal im Zusammenhang zu betrachten. 1972 Deutscher Pavillon Biennale Venedig. »Werkgruppe 48 Portraits«. Gleiches Format, in Reih und Glied gehängt. Planck und Einstein, Bruckner und Sibelius und 44 andere bewunderte Heroen der Geistesgeschichte. Richter hat sie ohne jede eigene Subjektivität fast ausdruckslos willkürlich von Lexikonfotos abgemalt. Allein die Konsequenz ist bewundernswert.
Darf man sowas über einen sagen, der eher widerwillig als erfolgsgeil auf den Parnass der Weltgeltung geschleudert wurde? Immerhin gab es 1988 diesen Geniestreich: Die 15 Ölbilder des RAF-Zyklus »18. Oktober 1977«. Dem offiziellen Deutungsschema unangepasst die Fotos der drei Stammheim-»Selbst«morde nachgemalt. Hintergründig verunklart. Einsamer Gipfel einer künstlerischen Sicht aufs Brisante. Nach dem feigen Desinteresse der deutschen Museen nach den USA verkauft, wird die Serie immer wieder von dort ausgeliehen. Sie war und ist für unsere Augen bestimmt. Oder?
Der Künstler winkt wie immer lächelnd ab. Durch und durch Maler, ist er inzwischen längst endgültig der Farbe in ihrer durchgeistigten Materialität verfallen. Überwältigt von der Suggestion seiner Hände, den Dramen dieses Lebens ausweichend, konzentriert er sich ganz auf die Fläche. Er zieht faszinierende Farbspuren über sie. Anhaltspunkte? Fehlanzeige.
Doch der Punkt seiner Herkunft musste ihn eines Tages einholen: Dresden. Zutiefst magischer und tödlich verletzter Weltort. Gerhard Richter wird heimgeholt. Subaltern wähnt man sich dort berufen, Wertungen zu verteilen. Einheimische Künstlerschaft zählt wenig. König ist der Fremdgänger. Jahre bevor für Gerhard Richter drei ganze Räume in der Gemäldegalerie Neue Meister auf Kosten anderer freigeräumt wurden, war an den noch rohen Wänden des Residenzschlosses der wahre Meister zu sehen. Kleine Wunder farbsatter Aquarellkunst. Ausdrucksspuren tastender Hände. Formgebilde ahnbar entsprungen einer offenen Auges erkannten Natur. Wunderbar.
Das jedoch nimmt das leertönende Getöse der Medien um den »Picasso des 21. Jahrhunderts« und den »erfolgreichsten Maler der Gegenwart« kaum wahr. Seit einem x-beliebigen Gerhard-Richter-Bild auf einer Auktion 15 Millionen Euro Wert zuerkannt wurde, ist er der Gott aller Finanzhaie. Er selbst sagt dazu: »Das ist genauso absurd wie die Bankenkrise - unverständlich, albern, unangenehm.« Dem habe ich nichts hinzuzufügen, außer: gratuliere!
Gerhard Richter:
● Neue Nationalgalerie Berlin
12. 2. bis 13.5.
Der Zyklus »18. Oktober 1977«: Alte Nationalgalerie.
● Atlas.
Kunsthalle, Lipsiusbau, Dresden
4. Februar bis 22. April 2012.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.