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Da muss auch mal gestorben werden?

Die Treuhand - größte Vernichtungsmaschinerie in Friedenszeiten

  • Christa Luft
  • Lesedauer: 4 Min.
Trotz massiven Widerstands verscherbelte die untreue Hand Volksvermögen
Trotz massiven Widerstands verscherbelte die untreue Hand Volksvermögen

Die Treuhand erregt fast zwei Dekaden nach ihrem offiziellen Tätigkeitsende weiter die Gemüter. So auch auf einer Tagung des Fördervereins für Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung, gemeinsam veranstaltet mit der sich vor allem der Gewerkschaftsgeschichte widmenden Sassenbach-Gesellschaft. Die Gefahr, dass nur längst Bekanntes zur Sprache käme, bestand nicht. Es ging vielmehr um das konfliktreiche Dreieck: Treuhand, Widerstand in den Betrieben und Gewerkschaften. Eine solche Themenkombination stand erstmals öffentlich zur Debatte. Um so verdienstvoller ist es, dass die Tagungsergebnisse nun in einem Sammelband vorgelegt und manche weiße Flecken ins Visier genommen werden. Zeitzeugen und Aktive aus Ost und West erinnern sich, geben Erlebnisberichte, setzen teilweise unterschiedliche Akzente.

Den Auftakt bildet ein Beitrag von Klaus Steinitz zur Rolle der Treuhand bei der marktwirtschaftlichen Umgestaltung Ostdeutschlands und den ökonomischen wie sozialen Folgen. Jörg Roesler nimmt parallel dazu das Wirken der Behörde im Kontext bundesdeutscher Demokratie unter die Lupe und benennt gravierende Defizite an demokratischer Kontrolle und Mitbestimmung im ostdeutschen Privatisierungsprozess. Die größte Vernichtung von Produktivvermögen in Friedenszeiten, eine millionenfache »Freisetzung« von Beschäftigten und die Verschleuderung von Volksvermögen - all das lief im bundesdeutschen Rechtsstaat an demokratisch gewählten Parlamenten und betrieblichen Interessenvertretungen vorbei! Die Bundesregierung gab der Behörde Flankenschutz. Der Staatssekretär im Bundesfinanzministerium Horst Köhler (der spätere Bundespräsident) brachte das Privatisierungsvorhaben im Januar 1991 auf einer Sitzung des Treuhandpräsidialausschusses in Köln so auf den Punkt: Es muss in der ehemaligen DDR-Industrie »auch mal gestorben« werden.

Wie das konkret aussah und was die Folgen waren, wird im Band am Beispiel zahlreicher Betriebe illustrier (Kaliwerk Bischofferode, Halbleiterwerk Frankfurt/Oder, Deutsche Seerederei Rostock, Narwa und Belfa Berlin, Kunstblume Sebnitz, Möbelwerke Zeulenroda, Gablonz-Schmuck Neuheim). Gewerkschafter, Betriebsräte und andere aktiv Beteiligte stellen persönliche Erfahrungen, oft demütigende Erlebnisse mit Vertretern der Privatisierungsbehörde vor. Neben dem landesweit aufsehenerregenden Hungerstreik der Kalikumpel in Bischofferode wird dem Leser eine breite Palette von Widerstandsformen gegen die Abwicklung und das Verramschen von Betrieben vorgestellt. Damit wird dem oft geäußerten Eindruck, es habe wenig Gegenwehr der Beschäftigten gegeben, exemplarisch entgegengetreten.

Erstmalig dokumentiert wird auch die Ostdeutsche Initiative der Betriebs- und Personalräte, die 1992/1993 den Widerstand in ostdeutschen Betrieben organisierte und koordinierte. Bislang unbekannte, über diese Aktivitäten Auskunft gebende Dokumente werden der Öffentlichkeit in einem Anhang präsentiert. Vor allem Pastor Willibald Jakob, Gerhard Jüttemann als legendärer Betriebsrat im Kali-Schacht Bischofferode, der ehemalige Gewerkschafter Peter Geitmann von der Deutschen Seereederei und andere haben mit ihren Tagungsbeiträgen sowie der Materialbereitstellung Anteil daran, dass nicht nur für Wirtschaftshistoriker und Politikwissenschaftler eine Fundgrube entstand.

In vielerlei Hinsicht aufschlussreich sind die Berichte von Judith Dellheim, Gerhard Jüttemann, Constanze Lindemann, Helmut Walz und anderen über Positionen und das Wirken des DGB und seiner Gewerkschaften in den ostdeutschen Arbeitskämpfen der Jahre 1990 bis 1994. Sie ergeben ein zwiespältiges Bild über die bislang kaum untersuchte Problematik. Als überwiegend reserviert wird die Haltung der DGB-Spitze, auch einiger Funktionäre von Einzelgewerkschaften, geschildert. Es gab kein erkennbares Interesse daran, dass sich im Osten eine neue Qualität der Mitbestimmung entwickelt. Der FDGB wurde gar zur Selbstauflösung gedrängt und der organisatorische Zusammenschluss seiner Gewerkschaften mit denen des DGB abgelehnt. Das muss der Treuhand wie ein unerwartetes Geschenk vorgekommen sein, denn so entstand 1990/1991 in den neuen Ländern ein gewerkschaftsfreier Raum, der ihr das rigorose Agieren erleichterte. Einzig die ÖTV, die HBV sowie die IG Medien und deren Gliederungen vor Ort erwiesen sich als Interessenvertreter ihrer Ostkollegen. Skandalös verhielt sich demgegenüber nach Zeitzeugenberichten die IG Bergbau/Energie im Arbeitskampf der Bischofferoder Kali-Kumpel.

Dieter Scholz, zu Treuhand-Zeiten Gewerkschaftssekretär bei der IG Metall und sieben Jahre Leiter des Verbindungsbüros seiner Organisation zur Privatisierungsbehörde, bekennt: »Zu keinem Zeitpunkt habe ich in meinem weiteren beruflichen Leben das, was ich da gemacht hatte, ausgewertet oder verallgemeinert.« Damit benannte er, was wohl für das Wirken der meisten Gewerkschaftsfunktionäre in den Umbruchprozessen Anfang der 90er Jahre zutrifft. Anders Detlef Hensche, damals stellvertretender Vorsitzender der IG Medien im DGB. Er kommt in seiner Bilanz zum bitteren Schluss, die DGB-Gewerkschaften hätten an der Übertragung des kapitalistischen Systems auf Ostdeutschland aktiv mitgewirkt. Ulla Plener fragt denn auch am Ende des Bandes: »Aber wieso gaben sie ihre kämpferischen Positionen der 80er Jahre auf? Und: Wann werden sie zu diesen Positionen zurückkehren?« Stoff genug für weitere Untersuchungen.

Diesem Band ist eine interessierte Leserschar zu wünschen.

Ulla Plener (Hg.): Die Treuhand. Der Widerstand in Betrieben der DDR. Die Gewerkschaften. Nora Verlag, Berlin. 271 S., br., 22 €.

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