Der König ist beschädigt

Gregor Gysi tritt für einen gemeinsamen Kandidaten aller Fraktionen ein

  • Lesedauer: 2 Min.
Gregor Gysi
Gregor Gysi

nd: Wie bewerten Sie den Rücktritt von Christian Wulff?
Gysi: Das Ende der Fahnenstange ist erreicht. Es war folgerichtig und eher zu spät, dass er zurückgetreten ist. Das Amt des Bundespräsidenten ist beschädigt, das Staatsoberhaupt hat mittlerweile seine Souveränität verloren. Wie hätte Wulff in dieser Situation einem grundgesetzwidrigen Gesetz die Unterschrift verweigern können, hinter dem die Kanzlerin steht - so wie es sein Amtsvorgänger mehrfach getan hat?

Vielen Bürgern scheint der Sturm gegen Wulff trotzdem künstlich angefacht.
Urlaub im Privathaus eines Freundes zu machen, das ist für mich auch kein ehrenrühriger Vorgang. Allerdings sind die Verquickungen des ehemaligen Ministerpräsidenten von Niedersachsen mit der Wirtschaft offenbar tiefer, als es vertretbar ist. Kommunalpolitiker sind schon für weniger verurteilt worden.

Welche Folgen haben die Ereignisse um Wulff für die Regierungskoalition?
Die Koalition steht unter großem Druck. Unter einem solchen Druck inzwischen, dass es nicht mehr ausgeschlossen scheint, dass sie vorzeitig scheitert.

Nun setzen unweigerlich die Debatten um die Nachfolge ein.
Es wäre folgerichtig, wenn es nun einen gemeinsamen Kandidaten bzw. eine gemeinsame Kandidatin aller Fraktionen des Bundestages gäbe. Nur so könnte das Vertrauen der Bevölkerung in das Amt wiederhergestellt werden. Aber so etwas setzte ja die Vernunft aller Parteien voraus. Und die ist bekanntlich begrenzt.

Ein gemeinsamer Kandidat aller Parteien, wer sollte das sein?
Mir fiele schon jemand ein, aber den werde ich Ihnen jetzt bestimmt nicht nennen.

Die Affäre dauert schon geraume Zeit - hat sich die LINKE Gedanken über einen eigenen Kandidaten gemacht?
Es gelten meine Antworten von zuvor.

Auch Andrea Nahles, die Generalsekretärin der SPD, regt einen gemeinsamen Kandidaten von Opposition und Koalition an.
Das kann ich nur begrüßen.

Mit der LINKEN will Merkel allerdings nicht reden.
Sie hat uns wahrscheinlich versehentlich vergessen. Das muss sie korrigieren.

Könnte man aufs Präsidentenamt nicht einfach verzichten?
Nein, ein bisschen König beziehungsweise Königin brauchen wir alle.

Interview: Uwe Kalbe

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.