Kann man Gauck nach Polen lassen?
Der designierte Bundespräsident reüssiert auch als Hobbyhistoriker - mit fragwürdigen Ergebnissen
Wer war schuld an der Vertreibung nach dem Zweiten Weltkrieg? Aber sicher doch, die »Kommunisten«. So stellt es der designierte Bundespräsident Joachim Gauck 1998 in einem Vorwort zum »Schwarzbuch des Kommunismus« dar: »Unbeliebt machten sich die Kommunisten auch, als sie Stalins Territorialforderungen nachgaben, die Westverschiebung Polens und damit den Verlust der deutschen Ostgebiete guthießen.« Denn »Einheimischen wie Vertriebenen galt der Verlust der Heimat als grobes Unrecht, das die Kommunisten noch zementierten, als sie 1950 die Oder-Neiße-Grenze als neue deutsch-polnische Staatsgrenze anerkannten.«
An anderer Stelle wird es noch deutlicher: »Es ist eben keine automatische Folge des verbrecherischen Angriffskrieges, dass Millionen vertrieben wurden. Die westlichen Demokratien verhielten sich deutlich anders, sie ließen z. B. die Saarländer in der Heimat wohnen und respektierten zehn Jahre nach Kriegsende den Wunsch der Menschen, zu Deutschland zu gehören«, schreibt Gauck 2003. Auch in diesem Text ist die besondere »Brutalität« des Kommunismus der eigentliche Grund für die Geschehnisse.
Das mit dem Saarland stimmt, ansonsten ist freilich das Gegenteil richtig: Die Flurbereinigung nach 1945 fand selbstverständlich mit Billigung der Westmächte statt und ist ganz wesentlich vor dem Hintergrund der »irredentistischen« Nationalitätenkämpfe im Ostmitteleuropa der 1920er und 1930er Jahre zu sehen, als vor allem Deutschland und Ungarn nationale Minderheiten zur Destabilisierung von Nachbarstaaten einsetzten. Die Aussiedlungen sollten dem durch eine radikale Entmischung ein Ende setzen; eine drastische Maßnahme, die in den zuvor vom Vernichtungs- und Umvolkungskrieg betroffenen Staaten aufgrund der Vorgeschichte jedoch weit über die »Arbeiterparteien« hinaus gesellschaftlich mitgetragen wurde.
Jeder Student weiß es besser als Gauck. Doch während falsche Anschuldigungen gegen den »Kommunismus« als lässlich gelten mögen, ist das letzte Zitat des Hobbyhistorikers ein echtes Problem. Es stammt aus seinem Geleitwort zur Ausstellung »Erzwungene Wege«, mit der die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, Erika Steinbach, einst ihr »Zentrum gegen Vertreibungen« erfinden wollte. Wie wird es aussehen, wenn Gauck, langjähriger Fürsprecher Steinbachs und ihres Zentrums, Polen besucht? Premier Donald Tusk hat den Bau eines »Museums des Zweiten Weltkrieges« in Gdansk angeordnet, ausdrücklich auch als Gegenpol zum Vertreibungszentrum. Will Gauck die Republik in Warschau vertreten, muss er sich von Steinbach lossagen, sonst drohen Hakenkreuzkarikaturen bei jedem Staatsbesuch. Dringend unterlassen muss er auch Provokationen wie die, als er den Kritikern der Steinbach-Pilotausstellung »Hysterie« nachsagte. Daniela Dahn hat schon 2010 gefragt, ob man Gauck nach Polen fahren lassen darf. Die Antwort ist: nur unter Aufsicht.
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Wen hat Rot-Grün, angeblich zum Beispiel strikt gegen das Steinbach-Zentrum, hier eigentlich herbeigerufen? Nicht unumstritten ist auch die »Prager Deklaration«, die Gauck unterzeichnet hat. Dabei handle es sich um »das Manifest derjenigen Bewegung, welche die kommunistischen Verbrechen mit denen der Nazis gleichsetzt«, so der Direktor des Simon Wiesenthal Centers, Efraim Zuroff. Mithin werde »der Holocaust und seine einzigartige Bedeutung für die Weltgeschichte relativiert«.
Gaucks erste Kandidatur 2010 fand Zuroff daher »extrem beunruhigend«. Die zweite wird Erfolg haben.
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