Eigensinnig Unbequeme

Gauck, Klarsfeld ...

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 3 Min.

Dieser Text basiert auf der Annahme, dass das Amt des Bundespräsidenten von jemanden ausgeübt werden sollte, der in seiner Person die Gesamtheit der Deutschen repräsentiert. In diesem Sinne waren alle bisherigen Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland des Amtes würdig. Von Theodor Heuss bis Christian Wulff waren es Menschen, die in ihren moralischen Haltungen, geschichtlichem Reflexionsvermögen und Lebensstilen den - neumodisch formuliert - Mainstream repräsentierten, und zwar losgelöst von den politischen Lagern, aus denen sie stammten. Das galt übrigens auch für die jeweiligen Gegenkandidaten - meistens jedenfalls. Selbst hartgesottenen Sozialdemokraten wäre es undenkbar gewesen, etwa Herbert Wehner als Bundespräsidenten vorzuschlagen; gleiches gilt für die CSU und Franz Josef Strauß. In der westdeutschen Konsensgesellschaft, die auf Ausgleich bedacht war, sollte der Bundespräsident die leise Mitte symbolisieren, sozusagen das Bindemittel, das die Gesellschaft zusammenhält.

Mit der Wahl des Nachfolgers von Christian Wulff wird mit dieser Tradition offen gebrochen. Zwar waren auch schon vorher Kandidaten in der Gesellschaft umstritten, doch nie zuvor hat eine Wahl so polarisiert. Dass das nicht auffällt, liegt auch daran, dass der Grad der Entmischung der sozialen Milieus, die Flucht in die weiten Winkel der Nischengesellschaft zugenommen haben und längst als Quasigesetz wahrgenommen werden. Wenn die Pole wachsen, muss die Mitte umso mehr gegen ihr Verschwinden kämpfen. »Einer für uns« titelt der aktuelle »Stern« über Joachim Gauck. Wenn das »uns« beschworen werden muss, liegt der Verdacht nahe, dass man an seine Existenz längst nicht mehr glaubt. »Unbequem, eigensinnig - und gerade deshalb der Richtige« lautet der Untertitel auf dem »Stern«-Titelbild. Wer unbequem und eigensinnig ist, kann nur unter Mühen das Ganze repräsentieren, drängt es ihn doch immerzu, das den anderen Unangenehme auszusprechen.

Als Gegenkandidaten der Linkspartei sind Beate Klarsfeld und Christoph Butterwegge im Gespräch. Folgt man der eingangs beschriebenen Annahme, sind beide keine gute Wahl. Klarsfeld hat in der alten Republik einen Bundeskanzler ob dessen NS-Vergangenheit geohrfeigt und damit den Westdeutschen schlagartig ihre verdrängte Biografie in Erinnerung gerufen. Klarsfeld, die Unbequeme. Wer aber den aufrechten Gang geht, polarisiert - und ist damit fürs Amt ungeeignet. Noch mehr gilt das für den Politologen Butterwegge? Der Hartz-IV-Kritiker, so heißt es aus Kreisen der Partei, könne die politischen Positionen der Linkspartei gut vertreten. Ein Präsident auf Parteilinie? Das wäre ein Novum in der Geschichte dieser Republik.

Dass Gauck und Klarsfeld/Butterwegge dennoch ins Rennen geschickt werden, zeigt, dass der Abschied von der Konsensdemokratie auch symbolisch vollzogen ist. Die Bonner Republik ist jetzt endgültig entsorgt. Willkommen in der Berliner Republik!

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