Finanzpolitik zu Lasten von Bibliotheken und Theatern

Berliner Bezirke inszenieren die Abschaffung der Kulturnation Deutschland

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 3 Min.

Ist das noch Deutschland? Ist das noch Berlin? Eine Anhörung der Linksfraktion in der Pankower Bezirksverordnetenversammlung (BVV) zum Kulturabbau im Bezirk sorgte für schockierende Blicke zurück und voraus.

Drei Vertreter von mittlerweile ehrenamtlich betriebenen Bibliotheken ließen ihre Kampf- und Leidensgeschichte Revue passieren. »Als wir geschlossen werden sollten, haben wir die Bibliothek besetzt und offen gehalten. Nachdem das Bezirksamt die Immobilie ans Land gab und der Liegenschaftsfonds sie veräußerte, fanden wir einen neuen Vermieter und konnten dort zu günstigen Konditionen einziehen«, erzählte Sabine Burgaleta von der Nachbarschaftsbibliothek Französisch Buchholz. Jetzt sorgen 18 Ehrenamtliche für Ausleihe, Bucherwerb und Katalogisierung. Bücher werden von Nachbarn gespendet, Regale und Teppichböden kamen gratis von Unternehmen. Dieses Engagement von Bürgern ist zweifellos famos. Dass es notwendig ist, um eine kulturelle und soziale Grundleistung einer Kommune zu übernehmen, erschreckt jedoch.

Selbst diese aufs Ehrenamt ausgelagerten Aktivitäten sind derzeit gefährdet. »Das Bezirksamt will die 5400 Euro jährlich für alle unsere Ehrenamtlichen streichen«, erzählte zornig Burgaleta. Wenn das passiere, »geben wir die uns im Roten Rathaus feierlich verliehenen 18 Ehrenamtsausweise wieder zurück«, drohte die Leiterin der Einrichtung, die zuvor schon Preise der damaligen Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner (LINKE) sowie von Bundesministerin Ursula von der Leyen (CDU) empfangen hatte.

Das Szenario von Schließung, Widerstand gegen die Schließung, selbstorganisiertem Betrieb bei absolut lächerlichen bezirklichen Zuwendungen und die drohende Streichung auch dieser Zuwendungen in der jeweils folgenden Legislaturperiode mussten die Künstler und Betreiber der Kultureinrichtungen im Thälmannpark als Menetekel für ihr eigenes Schicksal betrachten. Denn für die dort beheimateten Kulturprojekte - das Theater unterm Dach als eine bundesweit renommierte Spiel- und Produktionsstätte für freies Theater, das Kulturzentrum Wabe mit einem breiten Konzert-Mix von Joan Baez bis zu selbstorganisierten Schülerband-Auftritten, das Kunsthaus mit qualifizierten Kursangeboten noch unterhalb der Volkshochschulpreise, der engagierten Jugendtheateretage sowie der Galerie Parterre - bedeuten die für den Doppelhaushalt 2012/13 avisierten Kürzungen das direkte Aus als kommunale Einrichtungen.

Eine Überführung der Immobilie an einen anderen Träger, wie sie derzeit diskutiert wird und die angesichts der mangelnden Kapazitäten des Bezirks zur mittelfristig anstehenden baulichen Renovierung sowie eines Konstruktionsfehlers der Kosten-Leistungs-Rechnung auch sinnvoll erscheinen könnte, beruhigt in Anbetracht des Schicksals der ehemals kommunalen und jetzt ehrenamtlichen Bibliotheken allerdings niemanden. Denn wer garantiert, dass das Bezirksamt nicht auch im nächstfolgenden Haushalt die Mittel kürzt?

Einen »Paradigmenwechsel von einer Schwerpunktsetzung für Kultur hin zu einer Fiskalpolitik zu Lasten der Kultur«, konstatierte Michael van der Meer, Fraktionsvorsitzender der LINKEN in Pankow. Vertrauen in eine verlässliche Kulturpolitik schafft dies nicht. Und düster prophezeite Ela Zorn von der Jugendtheateretage im Thälmannpark: »Wenn wir es nicht schaffen, Kinder und Jugendliche zu bilden, werden wir in ein, zwei Generationen nicht einmal mehr jemanden haben, der noch weiß, was ein Ehrenamt ist, und was es bewirken kann.«

Die Kulturnation Deutschland droht sich gerade abzuschaffen. Und Pankow könnte zum Symbol dieses horrenden Prozesses werden. Aber auch Charlottenburg-Wilmersdorf macht mit beim Rennen um den Kulturausstieg. 60 Ateliers, darunter 26 vom Senat geförderte, sind wegen eines Immobiliendeals bedroht.

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