Drei Kobolde machen Geschichte
Große Ausstellung zum DDR-Comic »Mosaik« im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig
Die Farben. Es waren vor allem die »unmöglichen« Farben, die meinen Vater aufbrachten. Damit traf er - sonst selten einer Meinung mit meinen Lehrern - ausnahmsweise deren Urteil. Überhaupt sah sich das ab 1955 erscheinende DDR-Comic »Mosaik« bis in die 1960er Jahre immer wieder Angriffen von Pädagogen und Bibliothekaren ausgesetzt. Ausschnitte aus erbosten Artikeln der »Deutschen Lehrerzeitung« kann man auch in der Mitte Februar eröffneten Ausstellung zur Geschichte des »Mosaik« im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig finden.
Die Ausstellung über den erfolgreichsten DDR-Comic verdankt sich einem glücklichen Zufall. Der Erfinder der drei Kobolde Dig, Dag und Digedag, der inzwischen 86-jährige Zeichner Johannes Hegenbarth, tauchte eines Tages beim Leipziger Ableger des Hauses der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland auf. Er bot Rainer Eckert, Leiter des Zeitgeschichtlichen Forums, an, große Teile des Mosaik-Archivs mit insgesamt 35 000 Einzelobjekten zu übernehmen. Der begeisterte Digedag-Leser Eckert griff zu und konnte damit für die Ausstellung aus dem Vollen schöpfen.
Doch lassen wir die Statistik, schauen wir uns um. Gleich am Eingang zur Ausstellung kommt erst mal das zeithistorische Bildungsprogramm. Fotos und Filmschnipsel zeigen den Kampf von Hochkulturbeflissenen in Ost und West in den 1950er Jahren gegen die »Schund- und Schmutz-Literatur«. Dieser Kampf reichte bis hin zu so geschichtsvergessenen Aktionen wie einer Verbrennung von West-Comics und Groschenromanen zum Tag des Kindes 1955 in Ost-Berlin. Glücklicherweise setzten SED und Jugendorganisation bald auf ein Gegengift im bunten Gewand. Just in dieser Situation sprach »Eulenspiegel«-Karikaturist Hegenbarth mit einer Mappe von Entwürfen beim Jugendverlag »Neues Leben« vor und schlug diesem ein regelmäßig erscheinendes Heft mit Bildgeschichten vor. Im Dezember 1955 erschien das erste »Mosaik von Hannes Hegen«. Diesen Künstlernamen benutzte Hegenbarth, um nicht mit den bereits bekannten Künstlern aus seiner entfernten Verwandtschaft verwechselt zu werden.
Die Ausstellung zeigt auch den Originalvertrag, den Hegenbarth für das erste Heft ausgehandelt hatte. Und der hatte es in sich. Der Zeichner hatte sich darin nicht nur die alleinigen Rechte an seinen drei Hauptfiguren gesichert, sondern obendrein das für DDR-Verhältnisse exorbitante Honorar von 25 000 Mark pro Heft für sich herausgeschlagen. Mit einer Startauflage von 100 000 Exemplaren war das gleichwohl auch für den Verlag ein gutes Geschäft. Das blieb auch so, als »Mosaik« zum Verlag Junge Welt der Jugendorganisation FDJ wechselte. Wer beim Gang durch die Ausstellung nicht nur Augen für die vielen großformatigen Originalblätter der Comics hat, wird ein kleines Diagramm zur ökonomischen Situation des Verlags nicht übersehen. Das »Mosaik« allein brachte 40 Prozent der Gewinne des Verlags Junge Welt.
Machte Hegenbarth das erste Heft noch allein, so engagierte er für die weiteren Hefte bald zusätzliche Zeichner. Als die Hefte ab 1957 monatlich erschienen, wuchs das »Mosaik«-Kollektiv, wie es ab Mitte 1961 im Impressum hieß, auf rund ein Dutzend Mitarbeiter an. Die sozialistische Formulierung »Kollektiv« verschleierte etwas Unerhörtes. Ausgerechnet im FDJ-Verlag erschien ein Produkt, das faktisch in einem privatwirtschaftlichen Familienunternehmen entstand. Denn über Jahre waren die Zeichner Angestellte Hegenbarths und nicht etwa, wie üblich, des Verlags. Wäh᠆rend diese Mitarbeiter in den Heften bis zum Ende der Digedags 1975 anonym blieben, bietet die Leipziger Ausstellung in einem mit Hegens originalem Zeichentisch nachgestalteten Atelierraum auch genauere Informationen zu den einzelnen Zeichnern und dem Autor der Geschichten, Lothar Dräger.
Der größere Mitarbeiterstab erlaubte nach und nach sehr viel komplexer erzählte Geschichten, die über viele Hefte hinweg liefen. Der von besorgten Pädagogen und FDJ-Funktionären wiederholt beklagte Klamauk blieb den jungen Lesern allerdings glücklicherweise erhalten. In der Leipziger Ausstellung sind den einzelnen Geschichten jeweils eigene Räume gewidmet. Besonders viele der inzwischen mehrere Tausend Besucher zog der Ausstellungsteil mit dem tollpatschigen Ritter Runkel von Rübenstein an.
Dem Autor dieser Zeilen allerdings hatten es zwei vorangehende Geschichten der Jahre 1960 bis 1964 mehr angetan: die Abenteuer der Digedags auf dem utopischen Planeten Neos und die mit Erfindern, von Denis Papin über Werner von Siemens bis zu Konstantin Ziolkowski. Dank einer großzügigen Schenkung eines Hausnachbarn waren sie in seinen Besitz gekommen. Nicht wenige Kinder und Jugendliche dürften damals sogar ihre ersten Berufswünsche aus den bunten Heften haben, ob es nun Ingenieure oder Historiker in spe waren.
So mancher Funktionär war allerdings nicht zufrieden damit, dass Hegenbarths Comics statt Klassenkampf bestenfalls die Veralberung von Ausbeutern und Fürsten bot. Wie ein bereits prophylaktisch gezeichnetes Abschieds-Titelblatt für den Dezember 1959 belegt, kriselte es schon frühzeitig. Dass die Hefte schließlich trotzdem weiter erschienen und der Verlag die jeweils auf ein Jahr geschlossenen Verträge mit Hegenbarth nicht von sich aus kündigte, hatte profane Gründe. Bereits 1964 wurde bei einer Auflage von inzwischen 375 000 Exemplaren ein Gewinn von 761 700 Mark geplant, während von den anderen 16 Zeitungen und Zeitschriften des Verlags nur noch neun andere bescheidene Gewinne brachten, zwei kräftige Verluste.
Neben der Ökonomie schützten die Wendigkeit Hegenbarts und seines Texters und die langen Produktionszeiten der Hefte vor politischen Tagesforderungen. Ein Aspekt, der in der Leipziger Ausstellung etwas unterbelichtet bleibt. Wer sich darüber differenzierter informieren will, dem sei Mark Lehmstedts Buch »Die geheime Geschichte der Digedags« ans Herz gelegt.
Denn nicht alle Brüche in der Geschichte der Digedags gingen auf das Konto politischer Einmischungen. Zwar wurden die Abenteuer im Römischen Reich 1958 recht abrupt durch eine Entführung ins All beendet, weil kurz zuvor der erste Sputnik in der Sowjetunion gestartet worden war. Das Ende der Abenteuer des Ritters Runkel hingegen hatte mehr mit dem Überdruss der Autoren an der Figur zu tun. Denn politisch wäre der alte Ritter allemal weit unverfänglicher gewesen als die nachfolgenden Abenteuer in den USA des 19. Jahrhunderts. Immerhin erreichte 1969 der Krieg der USA in Vietnam seinen Höhepunkt. Und auch das Ende der Digedags 1975 hatten nicht die FDJ- oder SED-Funktionäre auf dem Kerbholz. Hegenbarth wollte nur noch alle zwei Monate ein Heft produzieren, der Verlag war dagegen. Hegen kündigte den Vertrag - und der Verlag akzeptierte. Das »Mosaik«-Kollektiv erfand die Abrafaxe und machte weiter. Aber das ist eine ganz andere Geschichte, die noch lange nicht zu Ende ist.
● Dig, Dag, Digedag - DDR-Comic »Mosaik«, Zeitgeschichtliches Forum Leipzig, bis 13. Mai.
● Mark Lehmstedt: Die geheime Geschichte der Digedags. Lehm-stedt, geb., 430 S., 24,90 €.
● Reiner Grünberg, Michael Hebestreit: Mosaik-Handbuch. Lehm᠆stedt. geb., 320 S., 773 farb. Abb., 24,90 €.
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