Querschnitt zum Frauentag
Gysi in der Kita, Maurer im Friseurinnenladen, die Männer-LINKE im Bundestag ging gestern in die Offensive
Auch in Berlin-Kreuzberg ist Frauentag, ein Stadtbezirk mit überdurchschnittlichem Migrantinnen-und-Migranten-Anteil. Von wegen Integrationsdefizite! Ein riesiger Kerl trottet diagonal über die Kreuzung, mit drohender Miene und einem winzig kleinen Blumenstrauß in der Pranke. In der Graefestraße ganz in der Nähe erfüllt derweil Ulrich Maurer, Parteibildungsbeauftragter und Vizevorsitzender seiner Fraktion, sein Soll an der frauenpolitischen Offensive der LINKEN. Ihm wurde ein Friseurinnenladen zugeteilt, und er ist zu jeder solidarischen Maßnahme bereit. Der Frauentag hat sein zartes Netz über die Partei geworfen, und ihre Männerschaft zappelt freudig ergeben. Natürlich würden die Männer sich nie beklagen. Aber ein klein wenig können sie einem schon leid tun.
Andere Männer, die das Wort Emanzipation buchstabieren können, machen ihren Frauen heute das Frühstück oder die Wäsche oder übernehmen den Einkauf. Die Genossen Männer vergesellschaften diese Idee. Sie begeben sich schutzlos in die symbolischsten aller auffindbaren Frauenorte - dorthin, wo Frauen sonst unter sich sind, wenn man mal von Kunden, Patienten oder den Kindern von Kunden und Patienten absieht. Angeblich sind sie gekommen, um den Frauen Arbeit abzunehmen. Aber eigentlich, um es der Öffentlichkeit mitzuteilen. Und jedenfalls nicht, um zu bleiben. Und das ist auch gut so.
»Der Besen muss richtig gehalten werden«, korrigiert Anke Sommer, die Geschäftsinhaberin, den Fraktionsvize sanft. Uli Maurer fegt ergeben die Haare der letzten Kundin zusammen. Vorher hat er ein Glasregal mit Haarkosmetik gewienert. Er habe in seinem Leben schon ziemlich überall gearbeitet, sagt er gefasst.
Uli Maurer kann so leicht nichts umhauen. Und sowieso ist Frauenpolitik eine Querschnittsaufgabe. Auch wenn Querschnitte nicht zum Angebot von Frau Sommer gehören, die sonst alle Frisuren anbietet, einschließlich typgerechter Beratung. Seit 15 Jahren schon steht sie bis zu neun Stunden täglich in ihrem Laden. Maurer trägt selbst einen ansehnlichen Haarschopf. Doch für eine Typberatung ist keine Zeit, jetzt ist Praktikum. »Noch nie hat ein Mann dieses Glasregal gewienert!«, stellt Frau Sommer begeistert fest.
Mit Friseurinnen kann Maurer so gut wie mit ihren Kundinnen und Kunden. Diese reagieren beinahe ein wenig geehrt auf die Mitteilung, dass hier ein echter Politiker putzt, ausgerechnet jetzt, da sie auf dem Stuhl Platz nehmen. Maurer entschärft die Situation mit einem kollegialen Händedruck. Im Wissen, dass jetzt alle satisfaktionsfähigen Männer der Fraktion zuverlässig ihren Mann stehen.
Gregor Gysi praktiziert in einer Kindertagesstätte, so wie auch Dietmar Bartsch, allerdings in einer anderen - der Fraktionschef und sein Stellvertreter haben das Nützliche des Tages mit dem Angenehmen verbunden, wer spielt nicht gern mit Kindern. Eine Weile. Der Starökonom der Fraktion, Michael Schlecht, kocht im Kinderladen in Stuttgart, wahrscheinlich mit einem strengen Blick auf die Herstellerpreise. Einige Männer riskieren einen Schuss Emanzipation, man findet sie in Flüchtlingszentren, bei Demenzkranken, Einrichtungen für benachteiligte Jugendliche - an Orten also, wo sie auch sonst sicher dem einen oder anderen Mann begegnen würden. Und nur wenige Genossen machen gar nicht mit, na ja. Die meisten jedenfalls entschuldigt.
Die LINKE und die Frauen - das Verhältnis ist auch sonst ein besonderes. Zweieinhalb Jahre hat es gedauert, bis die Entscheidung über eine weibliche Fraktionsvorsitzende fiel. Diese Wahlperiode wird es keine mehr geben. Keine Doppelspitze, Gysi ist Spitze genug. Dafür wurde Sahra Wagenknecht zur 1. Stellvertreterin gewählt, als einzige der Stellvertreter mit einer Zahl vor der Funktion. Ein kleiner Anfang. Wie der Praktikantentag. Und wer weiß, vielleicht kriegt man bei Frau Sommer bald auch einen Querschnitt.
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